Linde Täuschung

/ Haimo L. Handl

Monika Lindner, Jahrgang 1944, ORF-Generaldirektorin von 2001-2006, ist in die Politik eingestiegen. Sie kandidierte auf der Liste der neuen Partei Team Stronach, entschied aber, aus der Partei auszutreten, weil das Vorhaben dieser Partei, sie als Speerspitze gegen „das System ORF, Raiffeisen und Pröll“ (Klubobmann Robert Lugar), für sie unannehmbar war. Sie gab ihr Mandat jedoch nicht zurück, sondern entschied, als „wilde“ Abgeordnete in den Nationalrat zu ziehen.

Nicht nur das Team Stronach war empört. Auch die Presse zog über sie her. Die Partei des Patriarchen und „Paten“ Stronach, die vor der Wahl nur durch Abwerbung (ob gekauft wurde oder nicht, konnte nie bewiesen werden) von Abgeordneten des BZÖ sich in das Parlament gesetzt hatte, hatte zwar mit 20% Wählerzustimmung gerechnet, kam trotz des katastrophalen Wahlkamps des Wahlkanadiers mit 6% Stimmenanteil ins Parlament. Der eigentümliche Führungsstil des Chefs, der als patriarchaler Boss nur Untergebene und Erfüllungehilfen akzeptiert, löste eine Krise aus, die die Partei zerbröseln lässt. Sie wird sich nicht lange halten.

Jetzt also ein Mandat weniger, weil Frau Lindner als „Wilde“ ihren Sitz im Parlament halten will. Dagegen wolle die Partei Strafanzeige wegen Wählertäuschung erheben. Zwar ein vergeblicher Versuch, weil nicht bewiesen werden könnte, ob und wann Täuschung vorliegt. Die Rechtslage ist klar. So klar, wie sie für die Abwerbungen war. Stronach schäumt, weil eine Frau genau in seinem Stil ihm einen Strich durch seine Rechnung macht.

Und die Medien schäumen mit. Man gewinnt den Eindruck, dass sie auch deshalb so schäumen, weil es sich um eine Frau handelt, die „männlich“ erfolgreich agiert und austrickst, oder wie man es nennen will. Das kleinliche Aufrechnen, wie viel Geld sie verdient, dass sie ohne Wahlkampfarbeit zu einem Mandat gelangte, zeigt, dass der Neid geschürt wird, dass die niederen Instinkte angesprochen werden: seht her, die holt sich Geld, die macht es sich leicht. Ja, die Österreicher müssen jetzt eine Abgeordnete finanzieren, die durch Täuschung ins Parlament kam.

Wie bitte? Welche Täuschung? Wer sagt und belegt übrigens, wie teuer erarbeitet die anderen Abgeordneten ins Parlament kamen? Frau Lindner genießt kein spezielles Privileg. Sie erhält, was ALLEN Mandataren zusteht. Aber weder die Apparatschicks der anderen Parteien, die Hinterbänkler, die nie öffentlich arbeitsam auftreten, werden beachtet und vergleichend bewertet, sondern Frau Lindner. Sie war ja ORF-Chefin, sie war in oberen Etagen. Jetzt hat der Pöbel, jetzt haben die Gutmenschen ein Objekt der Häme, der Angriffe. Der Zirkus überdeckt ein System, das weder Frau Lindner gezimmert hat, noch durch sie missbraucht wird.

Wie kamen die Liberalen, das LIF ins Parlament? Wie das BZÖ? Wie die Stronach-Partie (sic)? Vergessen? Wie kann man die Tatsache, dass der Austrokanadier einen Nationalratssitz beansprucht, und zugleich oft, sehr oft, im Ausland weilen wird, bewerten? Als Täuschung oder als Normalität? Herr Lugar (Ex-BZÖ) war wilder Abgeordneter, wie die Herren Erich Tadler (Ex-BZÖ) und Werner Königshofer (Ex-FPÖ). Sie hatten ihre ehemaligen Parteien geschwächt durch ihren Austritt und Herrn Stronach gestärkt, durch die Fraktionsbildung des Teams Stronach, die rechtlich möglich wurde, weil genügend „Wilde“ zur Verfügung standen.

Dass also die wilde Partie der Männer nicht die gleiche Kritik erfährt, wie jetzt Frau Lindner, zeigt eine Einseitigkeit, die deutlich ist: Frauen werden anders gemessen. Vor allem, wenn sie das Erwartungsbild stören. Da schwingt viel Hass der kleinen Männchen mit, auch wenn sie groß auftreten. Kläfferkultur.

Die Problematik der „wilden“ Abgeordneten resultiert aus dem geltenden Listenwahlrecht und einem widersprüchlichen Status des persönlichen Mandats. Eine Art Zwitterform. Das Problem liegt im Wahlrecht und in der Geschäftsordnung des Nationalrats, der Organisation der Fraktionen und den weitreichenden Rechten der Fraktionsführungen (Klubobleute). Dieses Problem wäre durchaus lösbar, was aber nicht den Interessen der Listenhalter, der Parteien, liegt. Jetzt so zu tun, als ob Einzelne, Frauen gar, dies zu ihrem Vorteil missbrauchten, ist, wenn nicht Lüge, dann Dummheit. Denn nichts wird missbraucht, sondern „gebraucht“, den rechtlichen Möglichkeiten gemäß genutzt. Dass dieses Nutzen von vielen als „Ausnutzen“ im negativen Sinn gewertet wird, ist nicht korrekt. Wollte mein ein ungewünschtes „Ausnutzen“ vermeiden, müsste man nur die rechtlichen Voraussetzungen ändern.

Aber schon Wolfgang Schüssel kam durch eine Wählertäuschung und Lüge zur Macht, und mit ihm die FPÖ unter Haider, die dann, ruckzuck, sich in das BZÖ verwandelte. Herr Schüssel war Dritter geworden, Verlierer, und schaffte es, zum Ersten zu werden. Er beanspruchte, den Wählerwillen zu erfüllen. Täuschung? Wer spricht über diesen Schüssel und seine hohen Pensionen? Wer über seine Täuschungen, die uns heute noch Milliarden kosten?