Der Alleingang

/ Haimo L. Handl

Dass die USA auf alle Fälle, auch alleine, ihren Krieg gegen Syrien, den sie ‘Strafaktion’ nennen, durchführen werden, war von Anfang an klar. Das überraschte nicht. Überraschend war die Ablehnung der Kriegsteilnahme im britischen Parlament, die niemand, vor allem nicht der Premier, erwartet hatte. Überraschend auch, dass Frankreichs Präsident, kriegswillig wie früher Sarkozy, in der EU ohne Unterstützung da steht.

Aber am überraschesten ist doch die Haltung vieler westlicher, europäischer Politiker, Kommentatoren und Journalisten, die jene, die nicht begeistert am Krieg teilnehmen wollen, der Feigheit zeihen, und dabei nicht eine Sekunde vernünftig denken und argumentieren.

Wir erleben eine üble Sophisterei, ein Newspeak, wie nie zuvor. „War is peace“, hieß es in „1984“. Die Politik des Westens ist herabgesunken auf die Moral, deren Werte das Nachdenken, die Rechtslage, die Verhältnisse außer acht lassen, als ob nur ein diffuses Gefühl, eine art pervertiertes Rechtsempfinden, das nicht fragt, ob es selbst Unrecht ist, Ausdruck erlangen und damit befriedigt werden soll.

Im Internationalen Recht gibt es gewisse Regeln. Just jene Nation, die sich auf dieses Recht beruft, die selbst aber das Völkerrecht oft verletzt, missachtet nun dieses Recht in seinem Namen. Und viele folgen argumentierend, man müsse ein Zeichen setzen, man dürfe nicht tatenlos zusehen usw. usf. Man tut so, als ob es um Recht ginge, um die Menschen in Syrien, die Opfer, und natürlich, die Kinder und Mütter, die Flüchtlinge. Man zeichnet das Bild des Monsters Assad, wie früher von Hussein, um die öffentliche Meinung neben der von Politikern „einzustimmen“.

Man tut so, als ob der böse Assad nur morden wolle. Die Logik des Bürgerkriegs wird nicht befragt. Es wird nicht gesagt oder von Journalisten kritisiert, dass dieser Krieg nur möglich wurde durch die enorme, intensive Finanzierung und Versorgung mit Kriegsgerät und Know How der sogenannten Oppositionellen durch den Westen. Man goss und gießt Öl ins Feuer und beklagt den Kriegsfortgang, den man stoppen müsse.

Viele folgen dieser frechen Argumentation. Es wurden chemische Waffen eingesetzt. Das sei inakzeptabel. Stimmt. Aber es ist überhaupt nicht erwiesen, von wem. Es ist umgekehrt naheliegend, dass dies von Oppositionellen bzw. ihren Hintermännern unternommen wurde, um einen vordergründigen Kriegsgrund zu haben, weil alle anderen bisher nicht griffen.

Dass weder die USA, noch Großbritannien oder Frankreich oder sonst ein kriegsgeiles Land wie Israel oder die Türkei in ihren Machenschaften „offen und ehrlich“ sind, ihren Positionen und Aussagen zu trauen ist, müsste inzwischen doch den meisten klar geworden sein. Die USA, die selbst wichtige Einrichtungen der UNO, wie den Internationalen Strafgerichtshof, nicht anerkennen, die selbst das Völkerrecht brechen, uranhaltige Munition einsetzen, plädieren für Strafaktionen. Das machten sie natürlich nicht, als ihr Freund Israel weißen Phosphor einsetzte. Das machten sie nicht, als Israel mit Nuklearkrieg drohte, was eine Verletzung des Internationalen Rechts ist, nachdem Atomwaffeneinsätze verboten sind. Das scheint aber für Israel nicht zu gelten.

Wir wissen, wie verlogen konstruiert die Argumentation mit Massenvernichtungswaffen des Iraks war. Trotzdem glaubt man, auch nach der beispiellosen NSA-PRISM-Affäre, den Amerikanern. Jener Supermacht, die sich alles erlaubt, gegen Freund und Feind.

Ganz wenige Fragen werden gestellt nach den weiteren Hintergründen, den Logiken der Hegemonialpolitik. Sie machen mit. In einer schreienden Dummheit, wie anno dazumal, als die Kriegsverblendeten den Geschäftemachern (Krieg ist immer Geschäft, schafft Kriegsgewinne für die einen, Verluste für die anderen!) folgten, 1914, 1939, überbieten sich viele Politiker und geistige Vermittler, Journalisten und Experten mit Parolen und Argumenten, weshalb es rechtens sei das Recht zu brechen, weshalb Krieg die einzige Option sei.

Offensichtlich haben sie aus der Geschichte gelernt. Aber eben die Kehrseite, die so geflissentlich kaschiert, verdeckt, weggeredet worden war. Dass die Realpolitik der Macht folgt und diese IHRE Interessen durchsetzt, koste es, was es wolle. Und jetzt darf es eben, vor allem wegen der andauernden Krise, wegen der Verschübe in den Machtrelationen, kosten, was es will.

Es wäre wichtig festzuhalten, wer mitmacht, wer die USA unterstützt, und mit welchen fadenscheinigen Argumenten. Es wird die Zeit kommen, da Fragen nicht nur stellbar sein werden, sondern nach Antworten verlangen, die jetzt so leicht abgewiesen oder so simpel falsch geliefert werden können.

Heute ist es schier unmöglich, öffentlich vernünftig zu kommunizieren. Die Medien sind ein Machtfaktor und bestimmen die öffentliche Meinung. Abweichungen gibt es zwar, aber ohne nennenswerten Einfluss im konkreten Sinn. Das wird nicht immer so bleiben. Gegen all das verlogene Geschwätz der amerikanischen Regierung, des Präsidenten wie seiner Helfershelfer, die mit ihrer Newspeak jeden beleidigen, der noch selbst zu denken vermag, gegen all das Geplärr der wilden, anmaßenden, wüsten Gutmenschen, die für Krieg und Krieg sind, weil sie ideologisch borniert IHRE Moral, ihr Recht durchgesetzt sehen wollen, auch dort, wo es gegen bestehendes, gültiges Recht verstößt, gegen diese ganze Phalanx von Tätern, muss das Wort der Vernunft, des freien Denkens erhoben werden, auch wenn es gegenwärtig ohnmächtig erscheint. Wer schweigt, macht sich schuldig.

Dabei geht es nicht nur um die „begrenzte Strafaktion“. Es geht um die Umkehrung der Werte, um die zynische, unilaterale Machtpolitik, die alles niederwälzt, was ihr im Weg ist, und dies noch als human hinstellt. Es geht um die Zurichtung der Menschen in einem wild gewordenen Kapitalismus, die ihrer Bürgerrechte beraubt wurden und werden, die dem Lügenprogramm, dem Kriegsprogramm, willig folgen sollen. Es geht gegen die Logik des Krieges als ultima ratio der Politik. Wir sollten wirklich aus der Geschichte gelernt haben, aber anders.