Geistige Nahrung

/ Haimo L. Handl

Die in der EU geltende Kennzeichnung von Inhaltsstoffen der Lebensmittel wird zu recht als mangelhaft und irreführend kritisiert. Immer mehr kritische Konsumenten wollen wissen, was sie kaufen, was in den Nahrungsmitteln eigentlich ist. Zum etablierten Bio-Boom kommt nun das etwas kritischere Hinterfragen vager Angaben.

Andererseits ist zu beobachten, dass immer weniger Zeit nicht nur für Auswahl, sondern auch Zubereiten und Kochen aufgewendet wird. Der Markt bedient die Konsumentenwünsche mit Fertiggerichten, die das Image des Chefkochs und Gourmets befriedigen. Als ob. Als Ausgleich sind die vielen Kochsendungen beliebt. Es ist wie beim Sport, wo einige Chefs etwas vormachen und Massen glotzen und schauen. Würden die Kochsendungen wirken, hätten wir eine andere Küche, ein anderes Essverhalten. Aber in der Pseudokultur hat sich das verschoben.

Ähnlich im Geistigen. Es ist erstaunlich, wie sorglos sich die Mehrheiten in den entwickelten Ländern mit geistiger Nahrung versorgen und anscheinend keine Qualitätskriterien kennen oder beachten. Eine fahrlässige Naivität und eine schon dumme Unbedarftheit setzt keine Ansprüche, gibt sich mit dem Billigen, Schnellen, Schlechten zufrieden. Nicht nur in den Massenmedien herrscht der Einheitsbrei, das Prefabrizierte, das Simple vor, sondern auch in der Literatur und sogar der Bildung. Das breite Angebot entspricht der Instant-Culture: möglichst ‘easy going’ und schnell – und billig.

Das Bildungssystem hat sich darauf eingerichtet Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln, die von funktionalen Typen erwartet werden; alte Vorstellungen von Persönlichkeitsbildung und Wissen, das über den direkten Nutzenaspekt hinausgeht, sind obsolet geworden. Damit hat sich das eigene Urteilsvermögen weiter Kreise dramatisch reduziert. Es mangelt an Unterscheidungsvermögen. Doch dieses bildet die Grundvoraussetzung für das Wählen, Abwägen und Bewerten. Wenn schier alles gleich scheint, fällt die Wahl schwer und erst recht das Urteil. Irgendwie bewegt sich fast alles im abgesteckten Rahmen des Erwartbaren und Gesicherten, des Approbierten. Abweichungen leisten sich einige Wenige, die als schrullig oder elitär denunziert werden.

Für fast jeden Bereich stehen Experten zur Verfügung die Vorgaben liefern, die dem Einzelnen Prüfungen und Bewertungen abnehmen. Aus dieser neuen Unmündigkeit folgt das Gleichdenken, das eingepasste Mitmachen. Das frühere emanzipatorische Ideal der Aufklärung gilt längst nicht mehr. Selbst zu denken und zu urteilen erscheint vielen als Anmaßung, als verdächtige Abweichung, als störend.

Es wird zwar immer wieder hier und dort protestiert oder gefordert, aber auch diese Aktionen erscheinen geleitet, kanalisiert, ventiliert, kontrolliert. Die echten Auseinandersetzungen fehlen. Was heute bei uns als Kritik erscheint, ist weich verpackt, abgefedert, milde und bekömmlich. Das Wenige, das abweicht, zeigt keine Wirkungen, weil es leicht als gefährlich und irrig abgetan werden kann. Die Denkverbote reichen über die Massenmedien bis in die Wissenschaften hinein. Zwar wird noch keine offene Zensur geübt, aber die Reaktionen gegen Andersdenkende werden in der Kultur der politischen Korrektheit immer harscher und rigider. Obwohl dauernd von Toleranz geschwatzt wird, erstarkt die Intoleranz.

Das mangelnde Qualitätsbewusstsein, die geringe Bildung der Mehrheit, helfen der Verfestigung der Kurzsprech und Einfachsprache in den Medien als adäquatem Ausdruck des herrschenden Kurzdenken. Jahrelanges Einüben von sprachlichen Ungenauigkeiten resultiert auch in einem Abflachen des Denkens. Weshalb kompliziert, wenn es so einfach geht?

Obwohl wir die besten Kommunikationsmittel seit je haben, wächst weder der Bildungsgrad noch die Informiertheit der Massen. Zu vieles ist gleich und sich ähnlich. Die Wahl ist meist eine vermeintliche, weil das zu Wählende gleich oder fast gleich ist. Das Regime des Gleichen, der Gleichheit und Gleichmacherei nivelliert. Wir haben eine neue Gleichschaltung, allerdings modisch chic verpackt – und das entsprechende Futter dazu, die Lebensmittel für die physische und mentale, geistige Nahrung.