Italienische Verhältnisse

/ Haimo L. Handl

Der Straftäter, der Verurteilte, der Betrüger, Lügner, Hurenkonsument und Allmächtige, der Italiener Silvio Berlusconi, schimpft und hetzt gegen die italienische Justiz, die trotz aller Hintergrundtätigkeiten seiner Büttel, seiner Getreuen, seiner Anwälte, seiner Zu- und Abträger, ihn nun doch, erstmalig, rechtskräftig verurteilte. Das Höchstgericht hat nach einer peinlich langen Beraterei Recht gesprochen. Italienisches Recht, das woanders leicht als Unrecht gesehen werden kann.

Aufgrund der von ihm eingefädelten Gesetze bezüglich Verjährung und Amnestie kommt er nicht in Haft, sondern höchstens in einen komfortablen Hausarrest in einer seiner opulenten Villen, und das nur für maximal ein Jahr, weil drei kassiert werden aufgrund der Gesetzeslage. Und das Hohe Gericht beeilte sich untertänigst zu betonen in seinem Spagat von Rechtssprechung und pragmatischer Beobachtung der vermeintlichen Staatsräson, dass ihm das Recht, politische Ämter auszuüben, nicht genommen werde. Letzteres wird wahrscheinlich nicht zu halten sein, weil unter Monti im Zuge des Antikorruptionskampfes ein Gesetz erlassen wurde, das eben ein solcher Ausschluss auf sechs Jahre jeden ereilt, der mit einer Haftstrafe von über zwei Jahren verurteilt wird.

Der alte Bajazzo sieht sich als Opfer. Der Täter als Opfer Die bekannte, wohlbeliebte und gehätschelte Sicht vom Opfer bestimmt den selbstmitleidigen Politfuchs. Er wettert gegen die Hetzkampagnen, die ihn, den Armen, der für Italien und nur für Italien stets alles, alles!, gegeben habe, seit Jahren barbarisch, inhuman, menschenrechtsverletzend, verfolge.

Und das Volk gibt ihm Recht. Er ist beliebt, er wird hofiert, er bestimmt die Politik des Landes, er IST Italien. Die Italiener, das muss man erschreckt feststellen, würden in Mehrheit heute auch einem neuen Duce zu Füßen liegen, so lange er verspricht, ihnen den Fraß und das Gesöff und einige kleine Freuden, auf die die Spießer nun mal nicht verzichten wollen, sichert, gönnerhaft gewährt.

Die politische Dummheit ist nicht nur verantwortungslos, sie ist besorgniserregend beispielhaft für ein Europa, wo Rechtsverdrehungen, Rechtsbeugungen gang und gäbe sind. Man mache sich nichts vor: ohne die Basis, die hechelt, lechzt und alles für gut befindet, was der Papa macht und verspricht, wofür er steht, wären diesem Zampano seine Umtriebe nicht so erfolgreich möglich gewesen.

Italien ist nicht nur moralisch und ethisch am Boden. Es reiht sich ein in die verkommenen Staaten, wie sie früher von anderen Ländern der EU verabscheut und kritisiert wurden. Heute sind Vorkommnisse wie in Italien ‘europareif’ und nicht nur auf Italien beschränkt.

Europa hat weit mehr als nur eine Währungs- und Finanzkrise. Die Eurokrise ist eine Europakrise, verursacht durch tief verankerte Korruption von unten bis oben, durch eine Lügenpolitik und kaschierte Ausbeutung, die sich über enorme Schulden finanziert. Europa ist gezeichnet durch eine durchgeboxte Knechtschaft von verantwortungslosen Zampani und ihren Bütteln, durch zynische Manager und Banker, die sich, so lange es nur geht, bereichern und bereichern, und gleichzeitig die Umkehrung der Werte so perfekt praktizieren, dass ein paar Asylanten oder Ladendiebe als Bedrohung der Nation gejagt werden, und die wahren Abzocker und Vernichter als Gefeierte das Heft in der Hand behalten, triumphierend auf die blöden Proleten herabgrinsend. (Das haben die Banker aus Irland ja deutlich vorexerziert, wie das geht!) Und das zeigen auch die anderen in Griechenland, in Spanien, in Portugal – wo nicht?

Rom war an seiner Dekadenz zerbrochen, zerbröselt und untergegangen. Heute wird die italienische Krankheit nicht nur Italien als rechtsstaatliche Republik niederstrecken, sondern auch Europa tödlich schwächen, weil die Ärzte fehlen und die Hoffnung auf Heilung. Es wird weitergemacht, weil, wie bei einem Süchtigen, der Wille zur Änderung zu schwach ist. Irgendwer wird schon den Stoff liefern. Wie im Delirium drehen sich diese Kranken, diese Süchtigen, während die Fratzen der Parvenus unantastbar glänzen, nicht nur in Italien…