Sprachentwicklung

/ Haimo L. Handl

Kürzlich war in der deutschen Ausgabe der französischen Monatszeitung Le Monde diplomatique eine geharnischte Kritik unter dem Titel ‘Lockstoff Sprache’ zu lesen, worin der Autor bemängelte, dass Frankreich wegen sogenannter Öffnung der Universitäten für Fremdsprachige jetzt Studien in Englisch offerieren will, weil so viele kein Französisch sprechen und auch nicht lernen wollen. Man verspricht sich davon mehr Auslandsstudenten.

‘Einheitsmarkt, Einheitswährung, Einheitssprache?’ lautet der erste Satz als provokante Frage. Es gehe um den Abbau von Sprachbarrieren. Aber interessant, dass in den USA, wo der Anteil an ausländischen Studenten nur 3,7% beträgt gegenüber 13% in Frankreich, denke dort niemand daran, fremdsprachige Studien einzurichten, z. B. in Mandarin, das ja zu den populärsten, größten Sprachen zählt.

2011/12 studierten in Österreich insgesamt 360.495 Studenten an höheren Bildungseinrichtungen, davon männlichen Geschlechts165.468 und weiblichen Geschlechts 195.027. Ausländische Studierende waren in diesem Zeitraum 81.578, aufgeteilt in 38.134 Männer und 43.444 Frauen. Der Anteil ausländischer Studierender beträgt in Österreich also fast 23%.

Vielleicht ist das der Grund, weshalb bei uns ähnliche Bemühungen umgesetzt werden? Auch in Deutschland wurde schon von Jahren, vor allem von Naturwissenschaftlern, aber auch Philosophen, gefordert, nicht nur Studien auf Englisch anzubieten, sondern eigene wissenschaftliche Arbeiten nur noch auf Englisch zu verfassen, weil es nun einmal DIE Wissenschaftssprache sei. Arbeiten auf Deutsch erlitten einen Nachteil, weil sie von den maßgeblichen Personen wichtiger Institutionen nicht gelesen würden.

Das Problem mit der Muttersprache Deutsch sei, dass ihr, weil nicht konkurrenzfähig, die großen Märkte verschlossen blieben. Also Wechsel ins Englische.

Bei so einer Haltung fragt man sich, warum Deutsch nicht nur noch als Zweitsprache behandelt und als Muttersprache aufgegeben wird zugunsten des Englischen. Denn auch im Politischen schafft Deutsch Probleme. Das merken wir in der EU, wo, entgegen den stereotypen Beschwörungen europäischer Mehrsprachigkeit, Deutsch eine empfindliche Barriere darstellt. Der Primat der Wirtschaft, des Nutzendenkens, diktiert ganz andere Werte als jener der Kultur, wie wir meinen sie zu verstehen.

Bemerkenswert, dass all dies gleichzeitig zu den Behauptungen der Wichtigkeit der Sprachenvielfalt vertreten wird. Die gilt offensichtlich aus politischen Gründen hinsichtlich der ausländischen Studenten, der Zuwanderer und Asylanten, nicht aber für den Status der Muttersprache, wenn diese nicht Englisch ist.

Eigentümlich auch, dass man ernstlich meint, mit solcher Anbiederung und pseudooffener, verlogener Praxis könnte man gewinnen: Studenten, Fachkräfte, Forschung und Entwicklung, Geschäfte. Um welchen Preis? Der Kulturaufgabe.

Vielleicht sind aber die Macher doch realistischer? Denn sie sehen in der Erodierung der mit der deutschen Muttersprache gebildeten Kultur keinen Verlust. Erkennen sie bereits den niederen Status derselben? Ist sie so schwach, so minderwertig, dass man sie auswechseln solle, ähnlich der re-education nach dem Großen Krieg, um endlich ‘modern’ zu werden?

Es wäre eines, fremdsprachige Universitäten und Forschungseinrichtungen im Lande zu haben, die Mehrsprachigkeit eines höheren Anteils der Bevölkerung zu erreichen, nicht nur mit Englisch, andererseits gleichzeitig an den heimischen Bildungseinrichtungen Deutsch nicht nur leidlich zu behalten, sondern zu stärken, zu fördern.

Denn unsere Gesellschaften, in Österreich und Deutschland, pflegen ihre Sprache nicht, wie sie es verdient und benötigt. Damit meine ich nicht die verschiedenen Jargons, das Denglisch und eine penetrante Anglismensucht, sondern die negative Reduktion des Deutschen auf eine Verkehrssprache.

Die falsche ökonomische und politische Ausrichtung auf die Sprache des Großen Bruders, pardon, des Großen Marktes, unterminiert die eigene Kultiviertheit. Sprache ist aber nicht gleich Sprache. Sie ist immer auch eine Weltsicht, eine Ideologie, sie ist immer Kultur (früher sagte man Geist). So verludert nicht nur eine Sprache, sondern auch die Kultur, sprich Geist: beide werden von einem ‘Un’ befallen, der Unsprache, des Ungeists. Ein Akt der Barbarisierung.

Es geht auch nicht um das falsche Ideal einer Art Ursprache, es geht nicht um Sprachpolizei und penible Zensuren. Es geht um das Sprachkulturverständnis, um die Lebensgestaltung der Sprachgemeinschaft. Dolf Sternberger führte in seinem Vortrag zur Gutenberg-Feier 1960 aus: ‘Die Sprache geht auf Verständnis, die Sprache ist in diesem Sinne gesellig, die Sprache ist nur menschlich, insofern sie gesellig ist, und der Mensch ist sprachlich, weil er gesellig ist.’ Sternberger hatte die fatale Barbarisierung durch die Nazis erlebt. Der Ungeist der verwerflichen Gesellschaftspraxis hatte die Sprache verdorben, das Niedere seinen Ausdruck gefunden (nicht umgekehrt!). Die faschistische Sprachpolitik kam hinzu, wie in anderen totalitären oder diktatorischen Gesellschaften auch. Er zitiert den schönen Satz von Wilhelm von Humboldt über Sprache und Gesellschaft, ‘Ihre Sprache ist ihr Geist und ihr Geist ihre Sprache; man kann sich beide nie identisch genug denken.’ Nun, mit den leidvollen Erfahrungen der Nazizeit, der großen Pervertierung, sagt Sternberger nun: ‘Welchem Satze wir freilich den andern hinzufügen müssen: Ihre Sprache ist auch ihr Ungeist, und ihr Ungeist ist ihr Sprachverderb, und auch diese beiden kann man sich nie identisch genug denken. Der Fall und Sturz reißt ganz ebensosehr die Sprache mit sich, zeigt sich ganz ebensosehr in der Sprache an, wie der Aufstieg oder die Kultur, auch die moralische, sich in ihr anzeigt, ja sich in ihr vor allem zuträgt und ausbildet. Die Barbarei der Sprache ist die Barbarei des Geistes, es gibt da keinen Unterschied.’

Es hat etwas Huröses, sich primär vom Nutzendenken leiten zu lassen, und für Profite Ureigenstes aufzugeben. Solche Haltung verdirbt. Unsere Pseudooffenen leiden an einem gefährlichen Minderwertigkeitskomplex, sind weder von sich, unserer Gesellschaft, noch unserer Sprache überzeugt. Sie sind zu schwach, Eigenes zu vertreten, weil sie es nicht wertschätzen, da ihre Wertorientierung schnöde nach außen, nach den ökonomischen und politischen Erfolgen ausgerichtet ist. Eine Fehlsicht, die sich bitter rächen wird. Denn eine starke Kultur zeichnet sich nicht durch Abschottung und museale Rettung aus, sondern durch Vielfalt, die gerade wegen dieser Stärke leicht gepflegt wird. Warum sprechen bei uns so wenige wenigstens eine Fremdsprache? Warum ist das Sprachniveau eines großen Teils so niedrig? Ich wünschte, in unseren Bildungseinrichtungen würde mehr verlangt, mehr gefordert werden, vor allem von und in der Muttersprache.

Gleichzeitig daneben verschiedenste Einrichtungen in anderen Sprachen, verbunden mit einer intensiven Übersetzungstätigkeit und entsprechender massenmedialer Unterstützung würde sicher die Pluralität und Offenheit weiten.

Der andere Weg ist einer in Richtung Unterwerfung, Angleichung, schlussendlich Gleichschaltung, wie Serge Halimi in dem erwähnten Artikel in der LMD bemerkte.