Ehrenwerte Gesellschaft

/ Haimo L. Handl

Die USA gelten immer noch als Demokratie. Dank ihrer Macht, ihres weltweiten Einflusses, ihres Reichtums, auch wenn durch höchste Schulden erkauft, regieren sie als souverän überlegene Weltmacht, ja als anmaßender Weltpolizist. Es scheint, die USA können sich alles leisten, jeden Gesetzesbruch internationaler und nationaler Rechte. Ihr Image bleibt ungeschoren positiv. Ihr Bild ist wie von einem super-teflon-beschichtetem Material, an dem alles abperlt, abfließt.

Die USA sind die Guten, auch wenn sie den Rest der Welt als Hinterhof ihrer profanen Interessen betrachten und die anderen Staaten als Steinbrüche, Förderzonen, Kriegsschauplätze, Personalreservoir usw. nutzen. Sie sind die primären Nutznießer. Sie verteilen die Kosten, von den USA gehen die Schockwellen aus, welche die Finanzwirtschaften in tiefste Krisen stürzen, ganze Länder in den Ruin treiben. Die USA machen Krieg nicht nur militärisch, sondern auf jeder Ebene, ökonomisch und kulturell.

Wenig überraschend, dass die meisten, wenn nicht alle der ausspionierten und total überwachten Länder, die als Verbündete sich im Glauben wiegten, Freunde zu sein, stur, verbissen, irrational, wider besseres Wissen bzw. wider vernünftiges Prüfen, an diesem Trugbild festhalten. Einerseits ist es das schnöde Kalkül der schmutzigen Realpolitik (wenn nicht die USA, dann andere – dann aber doch lieber die Amis), andererseits das Geschäftsinteresse: es bleiben immer noch genügend Gelegenheiten für eigene Profite, trotz der Miseren, Krisen und Korruptionen, der Marktgängelungen und Lastenabschiebungen.

In früheren Zeiten war das offener. Da beugte man sich nicht im Geheimen dem Diktat, dem Zwang Tribut zu leisten, sondern erfüllte, weil nichts anderes übrig bleib, inhaltlich wie formell die Vasallenpflicht, den Tribut. Seit dem 2. Weltkrieg hat sich das verändert. Heute nennt man sich souverän und frei, und ist zugleich unter der Knute, zahlt und nimmt hin, dass der Herr befiehlt. Man lobt seine Geschäfte und verschweigt die Schutzgelder, die man wie bei den miesen, dreckigen Mafiosi zahlen muss. Man zeigt seine weiße Weste, ist aber in die Scheiße getunkt, stinkt, trotz der Lehrmeinung bzw. Weisheit ‘pecunia non olet’. Es stinkt ekelig, aber alle feiern Feste. Die Büttel der Massenmedien liefern gängige Deutungen, wie alt und üblich Spionage doch sei, dass man nicht übertreiben solle mit seiner Kritik an den USA, dass man nicht heuchlerisch sein solle, denn die Briten und Franzosen hören auch ab, und erst Russland und China!

Der Verräter Snowden wird nicht als Whistleblower gesehen, sondern als Spion und Landesverräter, dem, bitte schön, kein EU-Staat Asyl zu gewähren hat. Und wenn auf amerikanischen Druck hin eilfertig, untertänigst im vorauseilenden Gehorsam, europäische Staaten als wahre Verbündete der USA, nämlich Frankreich, Spanien und Portugal, ihren Luftraum für eine Maschine des bolivianischen Präsidenten, der aus Moskau kommend auf dem Heimflug ist, sperren, weil angenommen wird, dass eben dieser Verräter, der Staatsfeind Nr. 1, an Bord sei, dann wird auch das als normal hingestellt. Und Kritik am Verhalten der USA bzw. dieser Büttelländer wird als linksextrem oder sonst wie krank hingestellt. Die Europäer, zumindest jene, die vorgeben Macht zu haben und ihre Ohnmacht als Realpolitik einsetzen, leisten ihren widerlichen Kotau und schwätzen gleichzeitig, obszön, vom aufrechten Gang. Beschwören die europäischen Werte.

Wie human die Weltmacht doch sei, wie tolerant, könne man auch daran ablesen, dass ihr Präsident, Herr Barack Obama, eindeutig in ein Mikrofon sprach, dass er NATÜRLICH keine Jets schicken werde, um den Verräter abzufangen oder runterzuholen, sollte sein Land Kenntnis erhalten über einen Flug von ihm. Sehr freundlich. Die Kehrseite dieser launigen Bemerkung amerikanischer Generösität heißt aber, dass Obama weiß, dass auch die anderen wissen, womit im Extremfall NORMALERWEISE zu rechnen ist: Die USA unternehmen alles, wenn es dafür steht, ihnen wichtig und richtig scheint (so hat der lustige Obama, getreu seinem Reklamespruch ‘Yes, we can!’ Guantanamo immer noch nicht geschlossen! So gilt der amerikanische Atombombeneinsatz in Hiroshima und Nagasaki, der einzige bislang in der kurzen Geschichte seit 1945, immer noch als legitime Verteidigung!) Also zeigt er Menschlichkeit und versichert, dass seine Kampfjets kein Zivilflugzeug abschießen werden, nur um den Verräter zu treffen.

Aber die Toleranz hört auf, wenn andere Staaten es wagen sollten, diesem son of a bitch Asyl zu gewähren. Brasilien, vielgelobtes, riesiges Land in Lateinamerika, kuscht ebenso wie Kolumbien. Eigentlich sind es nur die als links verschrieenen lateinamerikanischen Staaten, die aufmucken. Die andern sind an kurzer Leine, und übertönen das Kettengeklirr mit karnevalesker Fröhlichkeit. Es geht ja um den freien Markt und Fortschritt.

China, gegen das nun die Supermacht doch nicht gleich so loslegen könnte, wie sie wollte, ist wegen seiner Geschäftsinteressen froh, den Sonderfall nicht mehr im Nahbereich, seiner Sonderzone Hongkong, zu haben. Zudem wäre das vielleicht ein Kuckucksei geworden, denn die Chinesen fürchten, wie die Amerikaner, jeden Aufdecker, der immer ein Verräter ist.

Und was Herr Putin von Russland begrüßt, gilt nicht fürs eigene Volk. Dort drohen schon für geringere Vergehen drastische Strafen; die jüngsten Schauprozesse belegen das eindrücklich.

Die USA sind also in guter Gesellschaft und durch die kollaborierende Willfährigkeit seiner europäischen ‘Partner’ unterstützt. Die eigentliche Chuzpe wird verdeckt, denn diese Partner bezahlen sogar Teile der Spionage gegen sie, finanzieren die systematische Wirtschaftsschwächung seitens der Amerikaner, und treten derweil als freie, westliche Staaten auf.

Wahrlich, Amerika, das heißt die USA, aber die SIND Amerika, sind mächtig und übermächtig, nicht zuletzt aufgrund der schmählichen Schwäche seiner Partner, die sich kaufen lassen. Eine ehrenwerte Gesellschaft eben.