Minderheit vs. Mehrheit

/ Haimo L. Handl

Minderheiten oder, wie es politisch korrekt heißt, Wenigheiten, definieren sich durch ein Verhältnis: Sie sind geringer an Zahl, wenn quantitativ gemessen wird, geringer an Macht und Einfluss, wenn politisch gemessen wird etc. Die Mehrheit zeichnet sich aus durch ein Mehr an X, je nachdem wie gemessen wird.

Eine Minderheit, die weder institutionell noch allgemein von der Bevölkerung bedrängt oder gar verfolgt wird, kann als Minderheit gut mit der Mehrheit leben, weil die Andersheit der Minderheit nicht stört bzw. die ‘Störung’, wenn sie eine ist, für die Mehrheit ‘verkraftbar’ ist. Es kommt auf die Verhältnisse an, auf die Qualität der ‘Störung’. Denn die Minderheiten sind, wie die Mehrheit, gefordert, sich an allgemeine Regeln, die für alle gleich gelten, zu halten.

Gerechtigkeit gibt es nicht. Nirgends. Auch Mitglieder der Mehrheit sind unterschiedlich. Und die verbürgte Gleichheit vor dem Gesetz schließt nicht die Gleichheit der Verteilung, Zuteilung und des Einflusses mitein. Dieser Versuch wurde vordergründig von den Kommunisten unternommen und hat fatal geendet. Die bornierte Orientierung am Gleichheitsgrundsatz in einem umfassenden, und daher falschen Verständnis, erzeugt Terror, ganz gleich ob profan staatlich oder religiös.

Das andere Extrem ist die systematische Bevorzugung einer Klasse und gleichzeitige Verhinderung eines menschenwürdigen Daseins (Bildung, Beruf, Ein- und Fortkommen) für die anderen. Das hohe Einkommen Privilegierter stört so lange nicht oder wenig, als die anderen ein genügendes Auskommen finden. Kippt dieses Verhältnis, wird es Proteste geben, Rebellionen und Revolten. Je nachdem, wie man die Mehrheit definiert, gehören ihr Mitglieder an, die zu den Verlierern zählen, die keine rosige Zukunftsaussichten kennen. Konflikte lassen sich nicht so eindeutig auf- und zuteilen. Gleiche Probleme erfahren aber bei Minderheiten oft eine zusätzliche Verstärkung durch die Dimension ‘Wenigheit’.

Aber es geht nicht nur um ökonomische Probleme, sondern auch um kulturelle. Hier wird es besonders kompliziert. Darf man einer Gesellschaft oder Bevölkerung vorwerfen, dass sie IHRE Kultur pflegt? Wann sind die Ansprüche von Minderheiten anmaßend, unrealistisch und selbst intolerant? Das betrifft nicht nur das Sprachenproblem, sondern vor allem die Lebensweise (inklusive Religion).

Viele, die sich in der Mehrheitsschicht als ‘progressiv2 oder offen pluralistisch sehen, meinen, es bestünde eine Bringschuld gegenüber den Wenigheiten, die oft schon wegen dieses Umstandes als Opfer betrachtet werden. Eine völlig falsche Haltung. Sie ist eigentlich feige und kontraproduktiv. Denn der Status als Wenigheit alleine ist noch kein Übel, außer man sieht die Kultur der Mehrheit, also des Staates, schon als Gefängnis für alle anderen. Dann wird auch die Landessprache zum Kerker, den es zu bekämpfen gilt. Verwirrungen solcher Art mindern die Möglichkeiten einer Integration, die immer nur zweibahnig, nie einbahnig verlaufen kann.

Die jüngsten Unruhen in Schweden belegen nicht nur den Bankrott der schwedischen Multikulturalität und ihrer Integrationspolitik, sondern auch die Problematik, wenn gewisse Minderheitenangehörige sich nicht integrieren, aber Forderungen stellen, jedoch nicht aktiv politisch nach den Mehrheitsregeln agieren. Es sind nämlich nicht nur wirtschaftliche Probleme, sondern auch solche des Draußenbleibens aus der Mehrheit. Doch gerade die Politisch Korrekten fokussieren auf die Andersheit, heben die Unterschiede hervor, warnen vor einer Integration, die stärker einbindet, weil das mit der verteufelten Assimilation verwechselt wird.

Die Frage ist, welche Integrationsbemühungen abgewehrt werden, wer welchen Anteil daran hat. Wenn Schweden nicht mehr Schweden bleiben sollen, sondern ein Konstrukt aus Facetten verschiedener Kulturen, ist der nächste, tiefergehende Konflikt programmiert. Was heißt das aber, ‘schwedisch’ sein? Sicher nicht nur schwedisch sprechen. Unter anderem auch schwedisch leben. Was, wenn genau dies vielen nicht ermöglicht wird? Wird es intendiert verhindert? Ist das Zukurzkommen und Draußenbleiben Folge eigenen Unvermögens oder Unwillens sich zu integrieren? Das rührt und vermengt Probleme, die alle Außenseiter oder Randschichten einer Gesellschaft betreffen, und Minderheiten im Besonderen. Es braucht offensichtlich mehr als frommer Wünsche und schöner Worte. Auf beiden Seiten.