Tannhäuser – KZ-Mörder in der Gaskammer

/ Haimo L. Handl

Der jüngste Opernskandal in Düsseldorf geht über die regionale Erregung hinaus. Wegen des Themas und der eingesetzten Mittel und Symbole dokumentiert er eine Reizzone, die für einmal einige besonders empfindlich und empört reagieren lässt, was anderen wiederum Gelegenheit bietet, umso extremer als Retter und Kämpfer aufzutreten.

Es geht um die Judenvernichtung, um KZ und Gaskammer, um Ermordungen und barbarische Gewalt. Es geht um Schuld. Das heißt, es geht um Richard Wagner. Es geht um Tannhäuser. Die Deutschen (wer denn sonst, DIE Deutschen, Plural, kollektiv) haben nicht nur den schrecklichen Zweiten Weltkrieg entfacht, sie haben mit ihrem Judenvernichtungsprogramm, dem Holocaust, die barbarischste aller Untaten vollbracht. Stimmt. Wagner (22. Mai 1813 - 13. Februar 1883), offener Antisemit, hat dem Nazipack die Musik geliefert. Stimmt nicht ganz. Er starb 50 Jahre vor der Wende, der damaligen in den Dreißigerjahren, und er hat nicht den Nazis Musik geliefert, sondern hat Musik komponiert, die von den Nazis geschätzt wurde. Obwohl er Antisemit war, ist seine Musik weltweit wirksam und gefeiert. (Kleines Gedankenspiel: Wären die Nazis aufgrund einer anderen Politik nur kleine Partei geblieben, hätte es keinen Holocaust gegeben, wie würde dann die Deutung Wagnerscher Musik erfolgen?)

Aber weil Wagner Antisemit war, Hitler und seine Schergen Wagner genossen und instrumentalisierten, Nazideutschland verbrecherisch war, ist klar, Wagner ist schuld. Diese Schuld gilt es immer und immer wieder herauszustreichen: Niemals vergessen. Die Deutschen sind schuld. Wagner gibt nur die Töne und Bilder zu dieser Schuld. Wenn wir ihn schon aufleben lassen, dann nur in einem Strafritual, nur in einer grausigen, peinsamen Katharsis (Regisseur Kosminski, Jahrgang 1961: ‘Ich will die Opfer beklagen. Das Kernthema sind Schuld und Erlösung.'), denn wir sind und bleiben schuldig. ‘Deshalb liegt es ziemlich nahe, zwischen Wagners möglicherweise genialem musikalischem Werk und den Verbrechen der Nazis Verbindungen herzustellen.', sagt der genialische Journalist und SPIEGEL-Redakteur Wolfgang Höbel, Jahrgang 1962.

Die Sache ist also klar und einfach, wie sie es immer war. Warum plötzlich so intensive Reaktionen, nur weil einige vergast werden (auf der Bühne, nur theatralisch, aber realistisch inszeniert, wie es der sozialistische Realismus nie gekonnt hat), weil gedemütigt, vergewaltigt, ermordet wird? Müsste man doch kennen, heutzutage, und bei DER Vergangenheit! Jammerlappen, die das nicht aushalten. Wir wollen in Blut waten, wir wollen den Kitzel der Vergasung nachhusten und würgen, um der Erkenntnis willen, des Gedenkens, der Besinnung, bis wir besinnungslos werden… Wir wollen, um nicht noch einmal schuldig zu werden, Tannhäuser als KZ-Mörder spielen, wir wollen Nazi spielen, wir wollen Wagner als Nazi, wir wollen wüten.

Nun, der Verweis auf geschichtliche Fakten und die Wirksamkeit gewisser Symbole ist faktisch korrekt. Aber ebenso der andere Hinweis auf eine gewisse kulturelle Beschädigung, nach dem 2. WK., nach dem Holocaust. Der Hinweis auf einen inflationären Einsatz von Nazisymbolen, von Naziverbindungen von diesem und jenem, die nicht direkt mit dem Nazitum zu tun haben. Indirekt hat alles mit allem zu tun. Da müssten Stücke von Shakespeare mit den Bildern unvorstellbarer Gräueltaten der mordtüchtigen Kolonisatoren Britanniens illustriert werden, da müssten die smarten Folterpraxen effektiv vorgeführt werden. Wer vermöchte den Abyssus britischen Arierdenkens adäquat darzustellen? Man müsste Robert Frost und Walt Whitman mit den Bildern der atomaren Massenvernichtung durch die Amerikaner in Hiroshima und Nagasaki verbinden, weil diese Bilder eine korrekte Verbindung zum verbrecherischen Land herstellen, dessen Politiker und Militär die höchstentwickelte, modernste Massenvernichtungswaffe, die je eingesetzt wurde, ‘ein-gesetzt’ haben.

Was müsste man nicht alles. Es wird deutlich: Wer ‘Tannhäuser’ als ‘Tannhäuser’ schätzt, verschätzt sich und ist ewiggestrig, vielleicht unverbesserlich, realitätsfremd. Allerdings zollte ich den Kritikern, die für diese Schuldbilder eintreten, mehr Glauben, wenn sie die Rationale ihrer Argumentation nicht auf Deutschland beschränkten.

Peinlich die Begründung des Intendanten der Düsseldorfer Oper. Weil einigen Besuchern derart schlecht wurde, dass sie angeblich ärztliche Hilfe aufsuchten als Argument für eine Absetzung nehmen, ist untauglich. Würde man diesen Humbug beachten, müsste man nur einige Schlechtwerder aktivieren, die damit Absetzungen erzwingen. Man kann sich leicht vorstellen, dass das morgen Moslems sind, die gegen ihrer Meinung nach ihren Islam beleidigende Bilder und Symbole sind, übermorgen dann Israelis und Juden, die sich verfolgt fühlen, usw. usf. Dieses billige Pseudoargument taugt nicht.

Der Hinweis auf den inflationären Einsatz solcher Bilder und Symbole schon eher. Denn sie erhalten ihre Bedeutung, ihren Wert zugewiesen aus der Zeit. Ein Zeichen und Symbol hat keine unveränderliche Bedeutung. Diese erwächst aus dem Mehrheitsverständnis der Kommunikationsgemeinschaft. Diesen Aspekt kann man versuchen zu beeinflussen, was ja geschieht, aber man kann nie so tun, als ob man von außerhalb auf ihn einwirke bzw. fordern könne, so oder anders müsse dies oder jenes verstanden werden, außer um den Preis einer rigiden Kontrolle, wie sie die Nazis, wie andere diktatorische Regime auch, es ja versucht haben. DAS soll eine weiterentwickelte Alternative sein?

Der Konflikt zeigt mit dem Schuldproblem ein generelles auf. Wer ist unschuldig? Welches Land ist ‘rein’ (paradiesisch)? Geht es in dem verzweifelt gewalttätig katharsischen Wüten nicht auch um eine Lustfeindlichkeit, die sich aggressiv in lustvoll scheinender Weise versteckt? Die, weil sie es in ihrem tiefen (Selbst)Strafbedürfnis nicht erlauben kann und darf Lust zu spüren, außer in gewisser Weise und Funktion, ähnlich einem Masochisten, einem Sadisten, einem Fetischisten? Was wird nicht alles unternommen, um teure, exquisite Fressorgien zu legitimieren! Die Schickimickiszene spendet hier und dort, um ihren aufwändigen Lebensstil vor den Minderen, dem Massenpublikum, irgendwie zu legitimieren: Wir tun ja was, wir helfen, wir sind brav, wir sind auch nur Menschen. Wie viele Tausende von Künstlern und verhinderten Intellektuellen sind froh, ihre Bedürfnisse kaschieren zu können, indem sie vehement als Extremisten auftreten, ähnlich den Pseudoaufklärern der billigen Illustrierten vor ca. 50 Jahren, die, weil es anders nie gegangen wäre und nicht goutiert worden wäre, die publikumswirksamen Nacktbilder in Form von Reportagen und Aufdeckungen, Meisterleistungen eines investigativen Journalismus, verkauften. Man steckte sich ein hehres Etikett und konnte Sauereien zeigen. In modernen Abwandlungen läuft das heute ganz ähnlich.

Das Vorgehen ist uralt. Wer früher keine Pornografie erhalten konnte, griff, wenn er kundig war, zu gewissen religiösen Texten: Nichts grausiger, ekelerregender, als die Ausschmückungen des Sündigen in den heiligen Texten…

Für Adorno waren schon Gedichte nach Auschwitz zu viel. Er hat später sein Verdikt gemindert und spezifiziert. Aber sein Urteil entzündete eine lange, tiefgehende Debatte über Tabus. Auch wenn man die Position Adornos im Großen und Ganzen versteht, ist seine These nicht haltbar. Sie ist Ausdruck einer Verzweiflung, die nicht anerkennen will, dass das Leben weitergeht, und sogar mit Positivem, lustvoll, in einem dauernden Wechselspiel. Aus diesem Wechselspiel rauszukommen, bedingte einen neuen Terror, eine Leib- und Geistfeindlichkeit, die stärker sein müsste als alles, was die Menschheit bisher geleistet hat.

Es zeigen sich zwar Bemühungen zu dieser Destruktion, aber noch keine wirklich nachhaltigen Erfolge. Dankenswerterweise.