Euro vs. Zivilisation

/ Haimo L. Handl

Die wütenden Zyprioten machen sich Luft, unter anderem mit der Behauptung ‘Ihr habt den Euro, wir die Zivilisation.’ Ähnliches war bzw. ist aus Griechenland zu hören, wo immer wieder die Antike beschworen wird, Griechenland als Wiege der europäischen Zivilisation.

Harmlose Töne im sonst wüsten Konzert mit besorgniserregenden Beschuldigungen, Deutschland habe, wie einst Hitler, Europa den Krieg erklärt, die bösen Deutschen sind schuld und sollen zahlen. Das Bashing wandelt sich langsam zu einer mentalen Kriegsvorbereitung, wie wir sie in der Geschichte leider oft nachlesen können. Ein gemeinsamer Feind, ein Sündenbock. Noch sind die konkreten Maßnahmen dagegen nicht genannt, aber die Wut und der Zorn verengten schon lange den Blick, erlauben die Schuld nur außen zu sehen und stärken das lädierte Selbstwertgefühl.

Keine Frage, weshalb diese gepriesene Zivilisation es nicht nur erlaubte, sondern sogar begünstigte, dass die Korruption so tief und breit sich festsetzen konnte, dass über Jahrzehnte eine verantwortungslose Politik gemacht wurde. So lange Profite gescheffelt wurden, war kein Problem und kein direkter Feind auszumachen. Jetzt ist das anders. Es gilt, die neuen Nazis, die Deutschen, fertigzumachen zur Rettung Europas.

Griechenland, das sich auf die frühe Demokratie beruft, auf die Wiege, übersieht, dass, was einmal war, nichts daran ändert, was daraus geworden ist. In der Geschichte, aber auch in der Gegenwart, haben wir eindrückliche Belege, wie Länder, Staaten, Nationen und Völker verkommen. Pikanterweise war zudem die frühe griechische Demokratie nur eine für die Freien, die sich als Sklavenhaltergesellschaft auf die Unfreien stützte. Vorbild? Wofür?

Interessant, dass zu gewissen Zeiten auch in anderen europäischen Ländern ein Rückbesinnen auf die Antike erfolgt war. Nicht zuletzt die Renaissance belegt dies. In Deutschland stand die Rückbesinnung, der Blick zurück, als Ersatz für eine Politik nach vorne. Edle Geister wie Friedrich Hölderlin berauschten sich am alten griechischen Geist, vermochten aber keine tauglichen Konzepte zu liefern, vereinsamten in dunkler Sprache, die zwar zum Besten gehört, was deutsche Dichtung zu bieten hat, aber politisch und gesellschaftlich nichts Positives hergab.

Ähnlich der Sehnsucht nach dem Paradies, dem reinen Urzustand, war auch die Hochschätzung der reinen ursprünglichen Sprache. Ein tiefes Missverständnis der Realitäten, auch der lebendigen Sprache, zeichnete die Träumereien aus. Der Ursprung als Heilsort, als Quelle der Neuerung. Ein Paradoxon, das, wenn es nicht literarisch oder künstlerisch bleibt, fatal wird. Wie fatal, bewiesen alle rückwärtsgewandten, modernitätsgeängstigten Ideologien, vor allem die verschiedenen Ausformungen des Faschismus.

Aber auch Religionen, die par tout sich Anpassungen verweigern, mögen zwar mental für Bedürftige kurzfristig ‘Sinn’ stiften und liefern, sind aber vollkommen unfähig, die anstehenden Probleme zu meistern. In der Gegenwart zeigen die meisten moslemischen Gesellschaften das Ausmaß der Malaise. Es korrespondiert mit den Untaten und dem Terror aller extremen, diktatorischen Regimes, weil es realitätsverleugnend Ideen folgt, Moralen, Gefühlen, Ressentiments und dem ganzen Bodensatz Zukurzgekommener, die unfähig bzw. unwillig sind, das rationale Denken zu pflegen und zu entwickeln.

Wenn Araber darauf verweisen, was ihre Wissenschaften in frühen Zeiten leisteten, ist dem nur beizupflichten. Aber es müsste diese Vertreter nachdenklich machen, dass heute nichts, rein gar nichts mehr davon lebt und wirkt. Religiöser Fanatismus hat ihre Gesellschaften in den Abgrund gedrängt. Und rauskommen werden sie, trotz enormer Profite durchs Ölgeschäft nicht, auch nicht durch Verweise auf die schlimmen Taten der Ungläubigen und die Verfolgung Unbotmäßiger. Das Tausendjährige Reich währte nur ein Dutzend Jahre, die glorreiche Sowjettunion 70 Jahre. Die Deutschen änderten sich und haben ein beispielhaftes Grundgesetz, Russland hat Putin.

Das müssten auch die Griechen und Zyprioten bedenken, wenn sie allzurasch und allzuleicht die Schuld bei den Andern oder, reduziert und fokussiert, bei dem Anderen suchen und zu finden meinen. Sie manöverieren sich ins Abseits, aus dem, wenn die Politik früheren Wegen folgt, nur der Krieg ein Rauskommen verspricht.

Wir haben also in Europa Zivilisierte, die aktiv zentrale Werte Europa unterminieren, und die mit ihrer Wut und dem eingeengten Blick den Boden bereiten für irrationale Handlungen, die sich im Kleinen schon zeigen und anmelden.

Der Spruch vom Euro als Gegensatz zur Zivilisation ist nicht nur falsch und zu kurz, er ist, wenn man ihn denn bedenkt, auf sie selbst zurückschlagend. Denn haben die edlen Griechen und Zyprioten nicht jahrelang mit und durch den Euro verdient? Worin zeichnet sich denn ihre Zivilisation positiv aus? In der hohen Arbeitslosigkeit, die schon vor dem Crash zur Besorgnis Anlass gab? In den Fertigkeiten der Geldwäsche und Spekulantentums? Im Tourismus? Wo?

Auf die dumme Beleidigung der Mehrheit der Europäischen Union, die sich in dem Slogan, Musterbeispiel von Kurzdenk, versteckt, braucht nicht weiter eingegangen zu werden. Sie belegt nur, dass DIESE Zivilisierten einerseits ein Gespinst beschwören, andererseits allen andern Zivilisiertheit absprechen. Hm. Ohne Westeuropa gäbe es kein Griechenland, kein Zypern. Vielleicht sollten diese Herren einmal Geschichte lernen, wie in Österreich dereinst Kanzler Kreisky einem Journalisten empfahl. Und dann gleich auch Politik nicht nur gefühlsmäßig, sondern intellektuell, das heißt, vernünftig, ansehen, begreifen, gestalten.