Die Clownerie

/ Haimo L. Handl

Italien wieder einmal in der Krise. Das Dauerkrisenland steht wieder vor einem politischen Patt. Die Bevölkerung beweist einmal mehr die niederen Instinkte, die tiefe Unbildung, die breite Halbbildung, die egoistische Borniertheit. Und dass Politiker, die als Gaukler, Eulenspiegler, Fabulierer, Nichtpolitiker auftreten, dort unten im sonnigen Süden, wo im Dezember die Arbeitslosigkeit auf die Rekordmarke von 11,2% stieg, die der jugendlichen Arbeitslosen sogar auf die erschreckende Höhe von 36,6%

Dieses Land, in dem die verschiedenen Mafiaorganisationen den stärksten Wirtschaftsanteil kontrollieren, indirekt und direkt die Politik bestimmen, das in seiner kurzen republikanischen Geschichte nicht weniger als 62 Regierungen verschliss unter 25 Ministerpräsidenten, ein einsamer, unrühmlicher Rekord in Europa, stellte das Schlagwort der italienischen Instabilität eindrücklich unter Beweis. Italien, erst 1861 geeint, bis 1946 konstitutionelle Monarchie, hat keine alte, gefestigte demokratische Tradition. Es ist der Tummelplatz für ökonomische und ideologische Geschäftemacher.

Der Präsident Italiens, der elfte seiner Zahl und der erste Kommunist, Giorgio Napolitano, Jahrgang 1925, wurde als Kompromisskandidat im Mai 2006 im vierten Wahlgang ins Amt berufen. Er hatte sich politisch zur gemäßigten Linie hin bewegt (Miglioristi), aber viele Genossen verärgert, als er 1991 für eine stärkere Bindung an die USA eintrat und später den Irak-Krieg der Amerikaner unterstützte. Napolitano gilt, obwohl Kommunist, als Grandseigneur, ähnlich wie Bruno Kreisky, der Großbürger, bei uns als Sozialist galt.

Giorgio Napolitano ist in Deutschland auf Staatsbesuch. Es kam zu einem Eklat, dem sogenannten Clown-Eklat, weil der Kanzlerkandidat Peer Steinbrück unverblümten Klartext zum Ausgang der kürzlichen Wahl in Italien von sich gab: ‘Ich bin geradezu entsetzt, dass zwei Clowns gewonnen haben.’ Die wegen Montis Rücktritt vorgezogenen Wahlen resultierten in einer Pattstellung, die höchstwahrscheinlich baldige Neuwahlen erzwingen wird. Die Movimento 5 Stelle des Komikers Beppo Grillo errang auf Anhieb über 25% der Stimmen und hält 109 Sitze im Abgeordnetenhaus, Italia Bene Comune (Pier Luigi Bersani) liegt bei 29,55% mit 345 Sitzen, das Mitte-Rechts Bündnis (Silvio Berlusconi) bei etwas über 29% mit 125 Sitzen. Im Senat allerdings hält Berlusconi mit 117 Sitzen gleichviel wie Bersanis Bene Comune, Beppo Grillo kommt mit fast 24% auf 54 Sitze, Mario Monti mit nur 9,13% auf 19 Sitze. Die Mehrheit im Abgeordnetenhaus trifft also auf eine starke Opposition im Senat, die die Regierung praktisch blockieren und verunmöglichen wird.

Beppo Grillos Partei, die sich ‘Bewegung der fünf Sterne’ nennt, 2009 als Protestinitiative gegründet, reüssierte extrem stark. Sie tritt für eine Stärkung der Direkten Demokratie ein, verbindet dies allerdings mit einer vehementen Kritik der Europäischen Union und einem Plädoyer für den Ausstieg Italiens aus der Eurozone. Berlusconis Sieg liegt im Senat, wo seine Partei mit über 30% den zweithöchsten Stimmenanteil einheimste. Von einem Sieg der Clowns zu sprechen, ist daher nur im Hinblick auf den Senat korrekt. Aber von der politischen Realität her stimmt das Bild.

Nach dem Sager von Steinbrück, der nur von wenigen Genossen unterstützt wurde, nahm der italienische Staatsgast ein vereinbartes Abendessen mit Peer Steinbrück nicht wahr. Er äußerte sich sogar öffentlich dazu beim Besuch, den er dem deutschen Bundespräsidenten Gauck abstatte. Er ‘ermahnte’, wie die deutschen Medien genüsslich berichteten, Herrn Steinbrück und stellte fest: ‘Es gibt kein Italien, das den Kompass verloren hat’. Man müsse den Wählerwillen respektieren.

Nimmt man das ernst, hieße das, keine Kritik am sakrosankten Wählerwillen zu üben, ihn einfach als Faktum hinzunehmen. Das ist natürlich Unfug, entspricht aber dem Bemühen zu kaschieren und in unverbindlicher, freundlicher Politsprache die Dinge nicht offen zu benennen.

Klar ist Peer Steinbrück kein Diplomat. Aber dass das geschminkte, kaschierte, camouflagierte Verdecken mehr gelten soll, als das offene Wort, hilft nur, die Misere zu verlängern und zu vertiefen. Dabei geht es nicht nur um die Clowns, sondern auch um Europa, das zahlen wird müssen, um die armen Italiener vor sich selbst und ihrem Schlamassel zu schützen – aus europäischem Eigeninteresse!

Übrigens ist die Apostrophierung von Berlusconi als Clown zu niedlich, zu freundlich. Dieser verurteilte Straftäter, Politbetrüger und Volksverführer verdient andere Bezeichnungen und andere Urteile. Aber Steinbrück rührt an ein europäisches Politikum, die Kollaboration mit Mächtigen, ganz gleich, wie windig, wie schief, wie korrupt sie agieren. Hätte die Union, die damals meinte Österreich wegen der Wahl von Haider/Schüssel isolieren zu müssen, gegenüber Berlusconi, der nicht nur populäre Sprüche los ließ und loslässt, sondern Gesetze zu seinen Gunsten installierte, Gesetzesbeugung zur italienischen Kunstübung machte, ‘isoliert’, wäre dem chaotischen Italien geholfen worden.

Und wie steht es mit dem berühmten Wählerwillen? Der Wählerwille brachte in Deutschland bei der Reichstagswahl vom 14.9.1930 den Nationalsozialisten 18,3% der Stimmen und damit 107 Sitze, ganz legal, ganz demokratisch. Was dann folgte, ist Geschichte. Nun, ich will Italien nicht mit der Weimarer Republik vergleichen, und die Rechtsparteien Italiens nicht mit den Nationalsozialisten. Aber das Argument vom Respekt des Wählerwillens bedarf schon einer Qualifizierung. Wenn er auch hingenommen werden muss, soweit er nicht manipuliert worden war, steht er nie und nimmer jenseits der Kritik! Die italienische Bevölkerung beweist mit ihrem Wählerwillen einen besorgniserregend hohen Grad an politischem Unwissen bzw. an Unbildung. Das lässt sich durch das Wahlverhalten empirisch belegen. Leider.

Die Beurteilung der italienischen politischen Situation, des italienischen politischen Verhaltens, ließe sich auch mit einem alten Zitat trefflich illustrieren: ‘A democracy cannot exist as a permanent form of government. It can only exist until the voters discover that they can vote themselves largesse from the public treasury. From that moment on, the majority always votes for the candidates promising the most benefits from the public treasury with the result that a democracy always collapses over loose fiscal policy, always followed by a dictatorship.’ Diese Worte werden dem schottischen Historiker, Richter und Schriftsteller Alexander F. Tytler (1747-1813) zugeschrieben, was aber nicht belegt werden konnte (es zeigte sich vielmehr, dass einer US-amerikanischer Geschäftsmann, Henning Webb Prentis, Jr. sie 1943 in einer Rede äußerte).

Ganz gleich, wer der Autor ist, die Worte gingen als ‘geflügelte’ um die Welt. Heute klingen sie wie eine Illustration des italienischen Wählerwillens, der sich eine largesse, eine Freigiebigkeit wünscht, koste es, was es wolle, weshalb die Wählerinnen, sie vor allem, und die Wähler Versprechern, auch Clowns, so willig folgen.