Organisierte Narrheit

/ Haimo L. Handl

Heuer ist der Fasching, woanders Fastnacht oder Karneval genannt, besonders kurz. Der alte Brauch ist typisch für einige christliche Länder und Kulturen, und obwohl obsolet geworden in einer freieren Gesellschaft als vor langen Zeiten, immer noch geübt, wie so vieles, das man nicht versteht und trotzdem feiert, obwohl die Feier organisiert hohl und oberflächlich geworden ist.

Kennzeichnend, dass die Unfreien in der Narrenzeit jene kurze Auszeit gewährt erhielten, zumindest symbolisch die Schlüssel der Gewalt zu übernehmen, während einer Periode die geltenden strengen Regeln außer Kraft zu setzen, ‘närrisch’ sein zu dürfen, was hieß, ohne soziale Ächtung und Sanktionen über die Stränge zu hauen, ‘wild’ zu sein, tierisch, instinkthaft, lustig und auch böse (denn die Kehrseite wurde nie geleugnet). Das alles geschah im Wissen um die Beschränkung, um den Aschermittwoch, da reuig das Haupt gesenkt wurde, da man sich wieder beugte und einfügte in das herrschende System, sich wieder unter Kontrolle begab.

Fastnacht war ein kluges Ventil zur Meisterung des Realitätsdrucks: Unerkannt konnte man saufen und huren. Der Untertan konnte ‘spielen’, sich ekstatisch vergessen. Die Barrieren der Stände waren durch die Verkleidung überwindbar, und mancher Knecht durfte sich an der höheren Frau vergehen, die es genoss, von Niederen begehrt oder erobert zu werden, was im Normalfall niemals möglich gewesen wäre.

Bedächten die vorgeblich Närrischen die Geschichte ihres Treibens, sie müssten entweder wirklich närrisch sich verhalten, wozu sie sich nicht trauten, oder diesen Brauch nicht mehr pflegen, weil er schal geworden eine Lüge verkörpert, die in einer permissiven Gesellschaft völlig funktionslos geworden ist.

Umgekehrt kann man sagen, dass das Festhalten an diesem Brauch eine Art Sehnsucht nach strengen Regeln ist, die den Genuss der Übertretung liefern. Wenn alles erlaubt ist, oder fast alles, gibt es nichts mehr zu übertreten, verletzen. Ein Kitzel fehlt, ein Abenteuer. In der Erziehung zeigt sich dieser Umstand, seit die ehemaligen Achtundsechziger als Eltern ihre Kinder besonders antiautoritär erzogen – und offensichtlich die Maße nicht im Auge behielten.

Dass wir heute wieder in Zeiten einer rigiden Kontrolle, eines Polizeiunwesens leben, da einerseits Radikale der Rechten und Religiöse nach ihrer Ordnung, law and order, rufen, andererseits Gutmenschen, Pseudofeministinnen und verschreckte Eltern vehement Druck ausüben und wieder Zensur und Verfolgung wünschen, stellt keinen Widerspruch, sondern die logische Entwicklung der nicht emanzipierten Gesellschaft dar. Denn wäre die Entwicklung seit den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts emanzipatorisch verlaufen, hätten wir nicht diese Malaise, dieses strenge, perverse Strafbedürfnis, diesen Kontrollwahn, diese gepflegte, gespeiste Intoleranz, die sich allerdings geschickt kaschiert.

Also ist der Fasching, der Karneval, das Fest der Unfreien vielleicht doch zu Recht in Übung? Denn sind die orientierungslos gewordenen (oder nie orientiert gewesenen) Massen nicht unfrei, sehen sich mehrheitlich als arme Opfer, verlangen vom Staat mehr Kontrolle, Zensur, Verfolgung, Bestrafung? Ein schiefer Blick, und man gerät in den Geruch des Missbrauchs, ein falsches Wort, man ist Asozial, Gesellschaftsfeind oder Staatsfeind, Verbrecher. Die Gedanken sind nicht frei, wie das Volkslied singt, die Denkverbote nehmen zu wie die Zahl der Verordnungen, Gesetze und ihre ‘Novellen’. Die Unübersichtlichkeit steigert sich ins Gigantische, was natürlich den eigentlichen ‘Herren’, den Machern und ihren Geschäften zugute kommt. Wie läppisch machen sich da Proteste gegen gewisse Ballbesucher aus, wie dümmlich dünn erscheint da die organisierte Fröhlichkeit, die sich unterschiedslos in den geschäftigen Trubel der Konsumgesellschaft fügt.