Eskalation

/ Haimo L. Handl

Die Erfolge der amerikanischen, israelischen und, im Schlepptau, europäischen Kriegspolitik im Nahen Osten scheinen konkreter zu werden. Langsam machen sich die versteckten als auch offenen Investitionen in Waffen, Logistik und Know-how-Transfer bezahlt: die syrischen ‘Oppositionellen’, wie man die finanzierten, hoch aufgerüsteten Terrorgruppen im Westen nennt, werden es schaffen, den Krieg zu internationalisieren, was den Westmächten inklusive der Türkei, die wieder in Großmachtsgefühlen schwelgt, das öffentliche Feigenblatt böte, um einen offenen Krieg zu starten.

Mit heiserer Stimme berichten Reporter aus syrischen Kriegsorten und heizen die öffentliche Meinung zielgerichtet an. Die Vielfalt der freien Presse produziert eine eigentümliche Einheitlichkeit des Blicks und der Deutung. Journalisten, Kriegsberichterstatter, Redakteure, Staatspolitiker, Professoren und berufsmäßige Analytiker fokussieren so präzise, dass fast nirgends etwas von den Aspekten der realen Hegemonialpolitik zu lesen oder hören ist, automatisch von der ‘guten’, gerechtfertigten Position des Westens ausgegangen wird.

Das gilt vor allem auch gegenüber dem Iran. Berichte über die sehnlichst erwarteten Auswirkungen der Wirtschaftssanktionen lesen sich wie Jubelmeldungen: endlich eine zerstörerische Inflation, endlich bricht dort das Chaos aus. Endlich wird das Regime bald fallen. Vielleicht ist ein Krieg der Israelis gar nicht mehr notwendig? Vielleicht können ‘wir’ früher und weniger kostspielig ‘aufräumen’, ‘Ordnung’ schaffen? Schließlich will man ja die Menschen befreien, die Demokratie installieren. Das wollte man ja im Irak und in Afghanistan. Dort sind nach über einer Dekade westlicher Kriegspolitik die Menschen sehr dankbar, freuen sich der neugewonnenen Freiheiten, der wertvollen Sicherheiten, des begrüßenswerten Fortschritts. Endlich westliche Konsumkultur und Lebensstil. Endlich.

Die Türkei wittert ihre Chance der neueren Geschichte. Die Islamisierung war durch die bedachte Politik relativ friktionslos vonstatten gegangen; das Militär entmachtet bzw. unter Kontrolle, die Massen fanatisiert und gierig auf mehr Erfolg, zumal, anders als in den ‘Krisenländern’, die Wirtschaft boomt und das Selbstwertgefühl steigt. Höchste Zeit, die ewig schlummernden osmanischen Ansprüche wieder zu formulieren, den edlen Herren das Herrenprogramm zu unterbreiten, der Türkei wieder den ‘gebührenden’ Platz einzuräumen. Der syrische Konflikt war da wie ein Geschenk. Jetzt kann die Türkei beweisen, was für eine Macht sie ist, und was für eine sie in naher Zukunft sein will. Hurrah!

Hinter Syrien stehen der Iran, selbst schon eingekesselt und als Kriegsziel anvisiert. Und Russland als einzige ernstzunehmende Macht, die die Kriegspolitik der Türken, der EU und, vor allem, der Israelis und Amerikaner stören könnte. Im Westen verurteilt die öffentliche Meinung nicht nur den Iran und Syrien, sondern auch Russland, zumal die innenpolitischen Probleme genüsslich zur Korrektur des bis vor kurzem positiv gemalten Bildes des ‘Zaren’ hergenommen werden. Man nimmt es, wie man’s braucht.

Die westlichern Ländern, von der Leitmacht abwärts, sind in einer ungeheuren Krisensituation. Selbst verschuldet, versuchen sie krampfhaft mit Inflationspolitik und Verschiebungen den ‘freien’ Markt zu halten, die Schulden umzuverteilen, um weiter machen zu können. Reformen? Schaut doch auf die bösen Iraner und Syrer! Auf den Terror! Der wird kräftig angeheizt. Die Angstpolitik hält die eigenen Leute gefangen. Die werden in Bälde, wenn es drauf an kommt, nicht mehr randalieren und protestieren gegen harte Maßnahmen, weil sie ihre Länder wieder engagiert finden in einem Krieg für Freiheit und Demokratie. Weil es um den arabischen Frühling geht, der nach einem bitteren Herbst zum erstarrenden Winter wurde, weshalb man ihn, zumindest in Syrien, wiederbeleben und erstarken muss, mit Waffengewalt. Dass ein solcher Frühling in den Ölscheichtümern nicht ‘ausbrach’, schon gar nicht in Saudi Arabien, der Welt potentester Terrorfinancier, entspricht der Logik, die unsere Massen willig annehmen, täglich eingebläut von Berichterstattern und Deutern.

Es scheint also, dass die gezielte Eskalation greifen wird. Es könnte sein, dass der ‘Westen’ einen Sieg erringt. Vielleicht wird es ein Pyrrhussieg sein. Was für Siege haben sich denn im Irak und in Afghanistan erreichen lassen? Wer stellt die Fragen nach den längerfristigen Auswirkungen durch die erzwungene Machtverschiebung? Z. B. die im südostpazifischen Raum. Wenn dort die Chinesen langgehegte politische, militärische Aktionen setzen, wie würde die westliche Leitmacht reagieren? Wie lange könnten die USA an mehreren Kriegsplätzen sich in immens teure Aktionen stürzen? Auf wen wären die Kosten abwälzbar? Wer würde zahlen? Womit? Mit den Schulden? Mit dem Geld der erfolgreichen Abzocker?

Und wie würde mit der erwartbaren Terrorantwort seitens aufgebrachter Islamisten umgegangen werden? Was, wenn diese ihre Aktionen koordinierten, innere Streitigkeiten beilegten und gezielter vorgingen?

Man macht uns weis, alles sei unter Kontrolle. Aber nicht einmal im Wirtschaftlichen waren unsere Staaten in der Lage, die Probleme in den Griff zu bekommen. Um die triste Wahrheit über unsere korrupten Systeme zu verdecken, werden, ähnlich wie in jeder (früheren) Propaganda, die Erfolge herausgestrichen werden, die unabdingbaren Notwendigkeiten gewisser ‘Maßnahmen’, humanitärer und militärischer Interventionen.

Es könnte sein, dass der Iran, nach Syrien, das sich höchstwahrscheinlich nicht wird halten können , zum Stolperstein gerät, der zumindest einige Konzepte vereitelt und enorme Kosten verursachen wird, vom humanen Problem ganz zu schweigen.

Was darüber hinaus sich in der ferneren Realpolitik der sich profilierenden Machtblöcke manifestieren wird, scheint ausgeblendet, zumindest beim Publikum, das gespannt, trainiert, an kurzer Leine gehalten, auf die gerechtfertigte Westpolitik starrt. Es könnte es böses Erwachen geben.