Feigheit & Appeasement

/ Haimo L. Handl

Feigheit ist ein unbekannt gewordener Begriff. Seit längerer Zeit versteht man das entscheidungslose, empfindlich windgewendete Verhalten als modern und vernünftig, würdig einer pluralistischen, multikulturellen Gesellschaft. Es existieren keine Kriterien oder Merkmale für Feigheit, weil auch keine für das Gegenteil existieren. Die Werte sind verschwommen und Verantwortung ist, entsprechend der hochkomplexen gesellschaftlichen Organisation derart spezifisch, partikular verteilt, dass sie unmerklich wurde, allgemein, diffus.

Mit dem Verschwinden der persönlichen Verantwortung, der Wertschätzung von Charakter, mit dem Triumph der Kollektivierung, die allerdings smart kaschiert ist, kann man politisch korrekt sein und dennoch sich vor Positionsbezug, wie ihn z. B. jede Kritik oder wichtige Entscheidung verlangt, drücken. Diese widersprüchliche Schwammigkeit wird durch ein Bildungssystem, das zum Ausbildungssystem pervertiert wurde und die Massenmedien sowie social media gefördert und gefestigt, so dass die nichtgefestigte Nichtpersönlichkeit, zwar noch Person, aber eben schwach, schier charakterlos, die Norm darstellt.

Die wüsten Attacken moslemischer Mörder, wütenden islamischen Mobs gegen ‘westliche’ Einrichtungen und Vertreter aufgrund der für sie inakzeptablen Beleidigung ihrer Religion, ihres Propheten usw., werden im Westen nicht einheitlich verurteilt und zurückgewiesen. Der größere und erschreckendere Skandal ist die Willigkeit vieler, schwer erkämpfte Bürgerrechte abzubauen, aufzugeben, um die Wut dieser Primitiven zu besänftigen, um Gefahren abzuwenden.

Die Botschaft ist klar: Recht hat, wer Gewalt übt. Also, protestiert nicht nur, sondern mordet, brandschatzt, und wir werden alles unternehmen, um die Quellen der tödlichen Irritation und unduldbaren Beleidigung der sensiblen Gemüter und leicht entflammbaren Gefühle von Moslems trocken zu legen. Wir übernehmen euer Geschäft der Jagd auf Blasphemisten, wir verbieten Bücher und Filme, wir ächten Kritiker und Satiriker, wir säubern unsere Bibliotheken und wir achten auf korrekte Bekleidung in den Kindergärten, auf dass der Islam würdig Platz greife und die Muslime endlich nicht diskriminiert ihren Minderheitsstatus ablegen und zur Majorität aufsteigen können.

Freiheit ist kein Geschenk, keine Gnade und keine Einbahn. Sie ist Ausdruck eines veränderlichen gesellschaftlichen Zustandes von Machtverteilung aufgrund beachteter Werte. In dieser Verteilung überwiegt derzeit das Sicherheitsdenken einerseits, die Angst vor Konsequenzen gewisser Wertorientierungen andererseits. Also werden früher ge- und beachtete Werte aufgegeben, über Bord geworfen oder sophistisch derart aufgeweicht, dass ihre Beachtung sich von der Nichtbeachtung nicht mehr unterscheidet. Wendehalspolitik, Unverbindlichkeit, Appeasement. Das lässt sich an der Praxis der Nebensätze, an den Aber-Sätzen ablesen: Meinungsfreiheit ja, aber! Pluralismus ja, aber! Es lässt sich ablesen an der Umkehrung der Logik, womit auch Werte umgekehrt, auf den Kopf gestellt werden. Plötzlich liegt die Schuld für Handlungen beim Anlassgeber und nicht beim Täter. Der wird als unbedingtes Reflexwesen, das nicht anders kann, gesehen. Jemand lästert Gott bzw. ist ungläubig, also ist er schuld, den Moslem beleidigt zu haben. Und der Beleidigte hat Recht sich zu rächen. Wir verwahren uns nicht gegen den Rächer und seine Rache, sondern gegen den Ungläubigen. Diese Logik wird ausgeweitet auf alle und alles, was als Grund für die Beleidigung gesehen wird.

Mit Gefühlen und Befindlichkeiten ist es aber schwer konsistent umzugehen. In keinem annähernd pluralen, freien System kann der Staat die Unverletzlichkeit von Befindlichkeiten garantieren. Im Gegenteil. Pluralismus verlangt, wie Freiheit, das Erlernen jener Reife, die es braucht, um die Komplexität und Vielfalt des Ungleichen, Anderen, Verschiedenen zu ertragen. Die Aufklärung, und allem was aus ihr resultiert (und aus ihr resultiert alles, was wir wertschätzen bzw. worauf wir bauen) verlangt ein Verständnis von Offenheit, von Verantwortung und Respekt einerseits, von Toleranz andererseits. Im freien Verkehr müssen auch die ‘Kehrseiten’, das Kritische, ja sogar das Höhnende, Beleidigende oder die völlige Absage ertragen werden im Konzert pluraler Sichten, so lange sie sich innerhalb des freiheitlichen Rahmens bewegen. Dieser Rahmen ist nach langen Wirren und Kriegen nach dem 2. Weltkrieg endlich weiter und stärker gefasst worden. Er steht und fällt mit dem Werteverständnis, mit der praktizierten Reife der Gesellschaftsmitglieder und ihrer Organe.

Wir erleben seit längerem eine Wertekrise, eine Schwäche vor allem der westlichen Gesellschaft in ihrem Selbstverständnis. Entsprechend dem vordergründigem Utilitarismus, dem extremen Profitstreben, dem rücksichtslosen Egoismus, werden neue Kosten-Nutzenrechnungen aufgestellt. Werte gelten nicht ihretwegen und der darunter liegenden Auffassung oder Philosophie, sondern ihres Nutzens wegen. Und da sind gegenwärtig allzu viele bereit, Grundwerte aufzuweichen oder aufzugeben, wenn sie als Grund von Hindernissen oder Störungen erkannt werden.

Weil sich einige radikale Primitive beleidigt fühlen und ihrer Beleidigung mörderisch Ausdruck verleihen, wenden sich viele nicht gegen die Tobenden und Rasenden, sondern wollen lieber jene Rechte einschränken oder aufgeben, die den Anlass für ‘Proteste’ bilden, im konkreten Fall das Recht freier Meinungsäußerung. Oder das Recht freier Versammlung. Oder das Recht Atheist sein zu dürfen, keinen Gott zu kennen oder ihn zu leugnen. Das Recht der eigenen Interpretation und Kritik. Usw. usf.

Im Kern geht es um die Liquidation des Staates nach Prinzipien der Aufklärung mit seinen Bürgerrechten. Es geht um die Eliminierung persönlicher Freiheiten, es geht um die Abschaffung des geschwächten Pluralismus. Kurz: Es geht gegen die Moderne. Was früher gegen die Faschisten verteidigt wurde, wogegen gekämpft wurde, auch gegen die Linksfaschisten und Kommunisten, die ein Terrorregime der Vereinheitlichung, der totalen Organisation und Vereinnahmung, der Verdinglichung der Gesellschaftsmitglieder als entpersönlichte Teile ihres Räderwerkes, errichteten, all das soll fallen zugunsten einer neuen herrschaftlichen Ausrichtung, die dem primitiven Geist der Führerschaft und des damit verbundenen Terrors den Weg ebnet, ihn schlussendlich übernimmt.

Religion ist Opium. Es scheint, die meisten brauchen diese Droge. Man wird sie nicht los. Man kann mit Junkies und Süchtigen leben. Aber man tut gut daran, sie unter Kontrolle zu halten. Europa erlebte erst dann seinen Aufstieg, als über die Aufklärung die dunklen Mächte der Kirchen als Vertreter dieser Opiumsüchtigen zurückgedrängt, unter Kontrolle gebracht wurden. Wir hätten, wäre das Regime der Religiösen erhalten geblieben, keine wirkliche Wissenschaft, keinen Fortschritt. Wenn jemand meint, die negativen Kehrseiten dieses Fortschritts seien zu hoch, zu teuer, zu kostspielig, soll er es beim Namen nennen, soll Farbe bekennen. Dann will er Gleichheit unter Führung, will verordnete Sicherheit durch Terror. Will die Entlastung eigener Verantwortung durch Aufgehen in der ‘Gemeinschaft’. Er will sich beugen und gekrümmt nicht den aufrechten Gang gehen, weil vielen Kriechern dieser aufrechte Gang eine Provokation darstellt, eine Beleidigung.

Wir haben auch das Problem sogenannter ‘Fünfter Kolonnen’. Viele, allzu viele arbeiten als Totengräber der Republik. (Die Metapher ist nicht ganz korrekt: Totengräber begraben Tote oder Totes. Aber unser Wertsystem ist noch nicht ganz tot, es wird nur permanent geschwächt, unterminiert, vergiftet, auf dass es bald sterbe.)

Mit dem Erstarken der Wischi-Waschi-Toleranz, dem Willen zum Appeasement werden, wie schon früher, die Staaten und Gesellschaften geschwächt. Viele bei uns tragen zum Abbau bei, indem sie willig und furchtsam und feige den Anstürmen nachgeben, die Seiten wechseln, Grundwerte leichtfertig aufgeben.