Verdrossenheit

/ Haimo L. Handl

In vielen Ländern der Europäischen Union nimmt die Politikverdrossenheit zu. Die meist populistischen Versuche dieser zu begegnen helfen nur kurzfristig und vordergründig. Die tiefe Vertrauenskrise hat sich in weiten Teilen der Bevölkerungen eingegraben. Aus dem Misstrauen gegen den Staat, vor allem die Parteien und einzelne Politiker, gegen die Manager und Spekulanten, kann leicht eine unkalkulierbare Haltung erwachsen, die rechtsextreme Strömungen begünstigt, sodass nationale bzw. chauvinistische Politiken extrem erstarken, Fremdenhass zunimmt (das muss nicht einmal rassistisch sein) und, zugleich, eher versucht wird, sich selbst noch ein Stück vom Kuchen zu holen, wo und wie immer das geht.

Verdrossene reagieren oft irrational, schier fixiert in ihrer überzeugten Enttäuschung und Empörung. ‘Empört Euch’ ist nur dann gesellschaftlich begrüßenswert, wenn die Empörten nicht nur wütend ihrem Zorn unartikuliert Ausdruck geben, sondern ihn politisch kanalisieren. Bei den meisten führt das bedauerlicherweise zur Unterstützung von Rechtsextremen, Populisten, Chauvinisten.

Wolfgang Schüssel hat in Österreich mit seinem Regierungsbildungs-Coup mit Jörg Haider einer Partei zur Regierung verholfen, die viel versprach. Sie hat nicht nur wenig gehalten, sondern das Gegenteil praktiziert, wovon sie telegen populistisch sprach. Vor allem in Kärnten, dem Hausmachtland der Haiderpartie herrscht(e) eine Korruption, eine Klientelpolitik, die den österreichischen Steuerzahlern einige Milliarden Kosten verursachten. Trotzdem besteht die ‘Chance’, dass die FPÖ bei den nächsten Wahlen wieder ‘abräumt’. Nicht nur das Gedächtnis des Elektorats ist kurz, sondern auch das Denkvermögen klein. Verdrossene wägen nicht ab, prüfen nicht Argumente, sondern ventilieren ihre Empörung, ihren Protest. Dabei unterstützen sie solche, deren simple, populistische Haltungen höchst problematisch und teuer sind bzw. deren Partei bis über den Hals im Korruptionssumpf steckt.

Ähnliche Reaktionen sind vor allem in den südeuropäischen Ländern zu sehen. Dort werden die Gründe des Versagens, der Korruption und Misswirtschaft, der immensen Schulden einfach außen gesucht und gefunden: Europa soll zahlen, sie selbst sind Opfer. Während ihre Regierungen von den Ländern, die weniger korrupt wirtschaften, Geld wollen, entlädt sich der Zorn des gewöhnlichen Bürgers in Hatzen auf Ausländern, in Gewaltakten gegen Minderheiten. Dieser inakzeptable Zustand existiert besorgniserregend in Griechenland, Italien, Spanien. In Frankreich wächst die soziale Unruhe, in Ungarn schwelgen die Nationalisten in chauvinistischen Träumen, während der Feind in den Linken und Minderheiten, besonders den Roma, gesehen und gejagt wird.

Vor wenigen Tagen kam ich bei einer Konferenz mit zwei ungarischen Lehrerinnen ins Gespräch, die hellauf begeistert vom Fortschritt ihres Landes unter dem Führer Orbán sprachen und meinten, die Medien lügten, die anderen hassten Ungarn, weil Orbán in Ungarn eine unabhängige Politik mache. Sie seien jetzt viel freier. Alles, was man über sie berichte, sei Lug und Trug. Und die Roma, von denen die Ausländer reden, seien keine Opfer, sondern wirkliche Asoziale, die sich nicht integrieren wollen, auch wenn man ihnen helfe, man habe das ja auch in Kannada gesehen. Mir kamen diese Frauen, Angehörige der Bildungsschicht, die mit dem Glanz Überzeugter, wie Sektenmitglieder, lobpreisten, wie Verdrossene vor, die sich in einen eigentümlichen, bornierten Enthusiasmus geflüchtet haben.

Der verengte Blick auf die Realitäten, die Pflege von simplen Feindbildern, der Ausdruck von Wut und Zorn, sind die Ingredienzien für eine fatale Politik. Sie prägt auch Rumänien, wo nicht nur die Korruption blüht, sondern wo auch Maßnahmen vom Volk bestätigt und gerechtfertigt werden, die praktisch eine Aushebelung des Rechtsstaats europäischen Verständnisses bedeuten. Und was macht die EU? Sie verteilt Gelder, gibt über die EZB Kredite, konferiert und beschließt Bankenhilfen. Die Verdrossenheit nimmt derweil zu. Quo vadis?