Sippenhaft

/ Haimo L. Handl

In Deutschland beginnt der Gesinnungsterror, gekoppelt mit Sippenhaft, wieder zu erstarken. Diesmal vertreten von sich politisch korrekt verstehenden Sportverbänden, Ministerien und Journalisten wichtiger Medien. Was seit den horriblen Zeiten der Hexenverfolgung wüste Geschichte, was Übung unter den Nazis war bzw. den Linksfaschisten, wo sie regierten, in der Sowjetunion und dem Deutschen Arbeiter- und Bauernstaat, der DDR, wird jetzt wieder, mit anderen Vorzeichen, und als Ausweis sensibler rechtsstaatlicher Haltung, gepflegt.

Es ist ja begrüßenswert, wenn, vor allem nach den gezielten Pannen des deutschen Verfassungsschutzes, die Rechtsblindheit in staatlichen Organen abgestreift wird bzw. in den Medien stärker Stellung bezogen wird gegenüber den Rechtsextremen. Aber das rechtfertigt nicht die Verletzungen der Privatsphäre bzw. eine Sippenhaft, wie sie die Affäre um die Ruderin Nadja Drygalla beweist.

Es mag noch hingehen, wenn in Bayreuth, der einstigen geistigen Nazihochburg zelebrierten Antisemitismus’ ein Tenor nicht auftritt und abreist, weil er ein Hakenkreuz auf seiner Brust tätowiert hat. Klar, dass man gerade dort überempfindlich sein muss gegenüber solchem Symboleinsatz.

Aber dass eine Sportlerin aus dem olympischen Dorf in London abreist und öffentlich verurteilt wird, weil sie mit einem Rechtsextremen, einem Neonazi, liiert ist, zeigt die hässliche Kehrseite. Die Reaktionen, die Beschuldigungen, die Argumentationen, die ganze ‘Fallverhandlung’, sind nicht nur peinlich, sondern völlig inakzeptabel für eine Rechtsstaatkultur, die sich an Taten & Fakten zu halten hat, und nicht an das private Umfeld.

Es wird nicht nur vergessen, wie übel und böse unter den Nazis auch jene verfolgt wurden, die mit dem ‘Feind’, dem Untermenschen, liiert waren oder störend in Verbindung standen. Es wird ausgeblendet, wie nach dem Hitlerregime, im antifaschistischen Land des glorreichen Sozialismus, wieder von den ordentlichen, braven, korrekten Bürgern verlangt wurde, sich nicht mit staatsfeindlichen Subjekten einzulassen. Damals wurden Kindern Ausbildungen verwehrt, wenn ihre Eltern ‘feindlich’ waren. Pech gehabt. Damals wurden Genossinnen und Genossen überwacht, malträtiert, wenn sie zu den als Staatsfeinden Abgestempelten Kontakte unterhielten. Und zum Staatsfeind, zum verdächtigen Subjekt, konnte man relativ rasch werden. Ein ordentlicher Bürger hatte sich davon fernzuhalten, hatte zu melden, anzuzeigen, sonst machte er sich schuldig. Das resultierte in einer Denunziationskultur gigantischen Ausmaßes.

Heute reicht es aus, dass eine Frau eine Beziehung mit einem Neonazi pflegt, dass sie, ohne selbst einer rechtsradikalen Organisation anzugehören, ohne irgendwelche neonazistische Handlungen gesetzt zu haben, öffentlich verurteilt wird, ihre Sportkarriere gefährdet, an den Pranger gestellt ihr Privatleben untersuchen lassen muss. Wie in finsteren Zeiten! Aber heute vertreten durch politisch Korrekte, durch Biedermänner, die Brand stiften, durch Saubermänner und -frauen, die auskehren, reinigen wollen.

Da schreibt im TAGESSPIEGEL vom 9.8.2012 eine Frau Caroline Fetscher allen Ernstes ‘Kein Sex mit Nazis. Von Beischläfern zu Mitläufern’ und argumentiert, nachdem sie alle möglichen Einwände als untaugliche Rechtfertigung abtut, als ‘beliebte Einwürfe’ jener, die die rechte Gefahr bagatellisieren, in einem Ton wie aus der DDR-Zeit: ‘‚Kein Sex mit Nazis’ lautet, eher als sarkastischer Jux gemeint, eine Aufschrift auf Buttons und Aufklebern von Antifa-Gruppen und Jusos. So sinnlos ist der Slogan allerdings gar nicht. Er signalisiert die politische Bereitschaft, statt Intimität und Nähe mit ‘allem, was zu rechts ist’, Distanz und Analyse zu suchen, in einer Haltung, die nicht nur für die öffentliche Fassade gilt.’

Wer also in seinem Privatleben den politischen korrekten Vorgaben nicht folgt, darf sich nicht wundern, wenn es zur öffentlichen Sache wird, wenn es untersucht, zergliedert, geprüft und abgewertet wird, wenn schon die soziale Beziehung den Tatbestand politisch-kriminellen Verhaltens erfüllt, wenn dadurch die Person schon zum Mittäter wird. Wie eben früher auch. Die tapfere, korrekte Fetscher folgert und urteilt weiter in ihrer Antwort gegen jene, die auf Privatsphäre und -sache pochen: ‘Genau solche Aussagen aber sind das interessanteste Symptom. Sie werfen Licht in die Tiefe eines Geschehens, bei dem Individuen wissentlich bereit sind, die verbrecherische Ideologie eines anderen abzuspalten von der ‘netten Person’, die dieser andere doch darstelle. Dabei leugnen sie mit Vorsatz den Inhalt der Überzeugungen, dabei werden sie gewissermaßen auch als Beischläfer zu Mitläufern. Sie offenbaren zugleich ein Bild vom Menschen, das sich gegen Artikel 1 der Verfassung sträubt. Von der unantastbaren Würde des Menschen hat jemand, der einen anderen in ‘irgendwie Nazi, aber prima Kumpel’ aufspaltet, sich keinen Begriff gebildet.’

Die Würde des Menschen muss also verletzt werden, wenn sie sich, nach dieser Definition, im aktiven Mitläufertum als nicht begrifflich erkannt ausweist. Dann muss zur Verteidigung der Würde der Anderen die Würde dieses schändlichen Subjekts aufgehoben, relativiert werden, denn dieses Subjekt ist Mitläufer und damit mitschuldig geworden an der ‘verbrecherischen Ideologie’.

Zur Abstützung solch queren Purifikationsdenken, solch perverser Verfolgungshaltung, werden die bösen Nazis Walser und Grass genannt. Sie hätte genauso gut die Jüdin Hannah Arendt in den Dreck ziehen können, da diese doch ihre Freundschaft mit dem Nazi Heidegger aufrecht hielt, nicht? Sie war durch Beischlaf zur Mitläuferin geworden, folgt man dieser Argumentationslinie. Hochhuth, der Grass einen Nazi schimpft, ist selber verdächtig, immer noch dieser Logik folgend, da er doch seine Kontakte und seinen Umgang mit dem Holocaustleugner David Irving unterhielt, ihn verteidigte. War Hochhuth zum Mitläufer und damit zum Mittäter einer verbrecherischen Ideologie geworden? Der Verdacht erzwingt eigentlich ein Verfahren, der Moralist müsste einer Prüfung unterzogen werden, wie jene, die er selbst angegriffen hat …

Zur Zeit der Hexenverfolgung genügte oft der ‘schiefe Blick’ als Ausweis des Unwesens, das es zu vernichten galt. Und wehe, jemand versuchte die Hexe zu verteidigen oder war mit ihr liiert. Es galt, öffentlich abzuschwören. Die Hexe hatte keine echte Chance. Was immer sie sagte, wurde gegen sie gekehrt. Das gemahnt an die Haltungen, Argumentationen und Verurteilungen vieler Vertreter der gerühmten Antifa, die Erklärungen von Neonazis, sie seien ‘ausgestiegen’, als Spekulation, als Tarnmanöver abtun. Denn so ein Subjekt kann ja nie beweisen, was es wirklich denkt, wie es wirklich ‘tickt’. Ähnlich wie bei den Nazis, die wussten, ‘Einmal Jud, immer Jud’, weshalb auch konvertierte Juden Juden blieben, bleiben für die politisch korrekten Reiniger Neonazis und Rechtsextreme immer solche, weil sie ja den prüfbaren Beleg ihrer Konversion nicht liefern können, weil immer Zweifel bleiben, die ihre Ausgrenzung und Verfolgung rechtfertigen. Vielleicht müssen wir es schon als Fortschritt annehmen, dass sie heute in Deutschland nicht physisch exekutiert werden.