Organistische Spendenkultur

/ Haimo L. Handl

Als kürzlich bekannt wurde, dass an der Universitätsklinik Göttingen Mediziner die Krankendaten manipuliert haben, um gewisse potentielle Empfänger nach vorn zu reihen, waren die Reaktionen einhellig negativ. Bedauert wurde auch, dass damit das ohnehin schwache Vertrauen in die Transplantationsmedizin weiter erschüttert werde bzw. der Rückgang von Organspenden, der 2011 schon 7,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr betrug, zunehmen werde.

Wir leben in einer Service und Therapiekultur, in der zwar der Anspruch auf ewiges Leben real nicht gegeben wird, das obliegt noch den Religionen, aber eine konkrete Lebensverlängerung sehr wohl angefordert wird. Dort, wo schier alles machbar scheint, werden rasch Klagen geäußert, wenn Ereignisse eintreten, die man nicht wünscht. Unheilbar? Todesfall? Das kann nur auf lausige medizinische Leistung zurückzuführen sein …

Auch im gegenwärtigen Manipulationsfall wurde sofort moralisch argumentiert, dass durch das Vorreihen andere, die Nachgereihten, dem Tod überantwortet worden seien, obwohl noch keine Untersuchungsergebnisse vorliegen. Unabhängig davon kann man sich vorstellen, dass die Erwartungen in lebensverlängernde Maßnahmen steigen werden, wiewohl andererseits die Zahl der Organspender nicht zu-, sondern abnimmt, obwohl in Deutschland verstärkt die Patienten zur Organspende angesprochen und eingeladen werden.

Im Januar dieses Jahres hieß es in einer deutschen Zeitung: ‘Einerseits also sollen die Bürger mit mehr Nachdruck mit dem für viele unangenehmen Thema konfrontiert werden. Andererseits aber sollen Antworten nicht erzwungen oder Sanktionen angedroht werden.’ Wie tröstlich. Vorderhand noch. Es geht um die Frage der Selbstbestimmung, die mit dem Tod endet. Wer stirbt, ist abgetreten und nicht mehr verfügungsfähig bzw. verfügungsberechtigt. Er ist zum Ding geworden. Da das hässlich klingt, wird es verbrämt. Seit je von den Religionen, die von ‘Schlaf reden’ oder vom besseren Leben drüben usw. (Warum dann so viele trotzdem lebenserhaltende Maßnahmen setzen, sich so ans diesseitige Leben klammern, wird nicht erklärt.)

Es wird überlegt, Organspendern einen ‘Bonus’ zuzuschreiben: verpflichtest du dich, einmal mir zu helfen, helf’ ich bei Bedarf dir. Die anderen kommen auf Listen, die sehr lange sind, auch ohne Manipulation. Pech gehabt bzw. gerechte Antwort auf Nichtkooperation.

Aber was mit jenen, deren Organe unbrauchbar sind? Sollen sie dafür bestraft werden? Alkoholiker, Junkies, Menschen, die dank moderner Medizin einfach zu alt werden, sind unbrauchbar, geben nichts her für den Nachschub, sind nicht mehr ‘auszuschlachten’. Also hoffen, dass viele Junge durch Unfälle abkratzen und ganz rasch die Organe entnommen und verteilt werden können? Oder den chinesischen Weg gehen und wieder Todesurteile einführen, damit der Delinquent seine Schuld damit abzahlt, dass er seinen Körper hergibt? Verrückt? Christen bauen ihr Weltbild auf diesem Schuldübernahmevorgang auf!

Fachleute haben kommentiert, der bedauerliche Manipulationsfall zeige ein Organisationsversagen. Das klingt gut! Zum Organversagen das Organisationsversagen. Letzteres hofft man durch Vier-Augen-Prinzip und viel strengere Überwachung wettzumachen. Um dann die gespendeten, gesunden Organe zu verpflanzen, gerecht und ordentlich, soweit es sie gibt.

Und wenn die Organspenden noch weiter zurückgehen? Was dann? Ach, darüber wollen wir jetzt nicht nachdenken. Das stört nur.