Bibliotheken als Social City Centers

/ Haimo L. Handl

Mit der Spaßgesellschaft wuchs der Serviceanteil öffentlicher Einrichtungen in Konkurrenz mit dem ‘privaten’ Markt. Auch Bibliotheken und Büchereien dürfen nicht mehr sein, was sie waren. Sie waren nämlich nicht effizient genug, nicht kostendeckend. Als ob derartige öffentliche Einrichtungen je Kosten decken könnten.

Aber, um wenigstens ein bisschen die angezweifelte Existenzberechtigung zu untermauern, verlagerten viele ihre Tätigkeitsfelder, änderten ihr Profil und werben nun als Sozialeinrichtungen, als Servicestätten für gestresste Teenes, verzweifelte Jungmütter und Kinder, Randgruppenmitglieder und Integrationspublikum. Cafeterias, Kuschelecken, Multimediabereiche usw. ‘motzen’ das Erscheinungsbild auf, versprechen neue Dienstleistungen als Community Centers. Community.

Das trifft nicht nur kleine Büchereien, sondern auch große und auch Bibliotheken. Bücher sind ein altes, obsoletes Medium, zu teuer, zu kostspielig, zu elitär. Neue Medien, e-Books, DVDs, Computerspiele sind gefragt. Schon lange leidet das eigentliche Bibliothekswesen an tiefen Problemen, nicht nur finanziellen, sondern auch an wesentlichen des Selbstverständnisses.

Im November vorigen Jahres war in einem längeren, investigativen Artikel in der Zeitschrift THE NATION von den Umbauplänen der größten, freien, nicht universitären Bibliothek der USA, der New York Public Library, zu lesen. Bald folgten weitere Berichte, Petitionen gegen das, was besorgte Leser, Professoren, Forscher besonders befürchten: Die Umwandlung der Bibliothek, vor allem der Forschungsabteilungen, in einen Tummelplatz einer Ausleihanstalt mit immensen, tumultartigem Verkehr von Schwachlesern, die elektronische Medien konsumieren wollen bzw. den Treffpunkt nutzen.

Was die Bibliotheksleitung als Modernisierung anpreist, stößt eingefleischten Benutzern sauer auf: sie fürchten Schließungen wichtiger Abteilungen, wie schon 2008 und 2010 geschehen, Reduktion wichtiger Einrichtungen, zugunsten eines populistisch modernen Serviceangebots mit Internet und Computern und Konsolen und Cafeteria, die die Bibliothek in eine Bücherei verwandeln, die sich von einem Sport- und Kinderspielplatz kaum mehr unterscheidet.

Auch namhafte Zeitungen widmeten sich im heurigen Frühjahr diesem Thema, sogar in der ausländischen Presse war davon zu lesen. Es geht nicht nur um ca. 350 Millionen Dollar, die für den Umbau herbeigeschafft werden müssen, während etliche Bezirksfilialen verrotten und weltberühmte Sammlungen geschlossen und versiegelt sind. Der Bundesstaat finanziert die Library of Congress, die größte, den Stolz der Nation, nicht aber die NPL. Die wird hauptsächlich privat finanziert. Während private Eliteuniversitäten prosperieren, darbt die öffentliche Einrichtung.

Aber es ist nicht nur ein Finanzproblem. Es ist der Wertewandel, die Kulturänderung. Wir erleben das auch in Europa, in Deutschland und in Österreich. Bei uns war das Bibliothekswesen, mit ganz wenigen Ausnahmen, nie wirklich gut ausgebaut, nie benutzerfreundlich und effizient. Klar hat sich in den letzten Jahren viel zum Positiven geändert. Aber ‘gut’ ist ein sehr relativer Begriff. Wir haben keine wirkliche Buchkultur. In einem kleinen Waldviertler Ort will ein Kleinverleger eine Buchstadt einrichten, obwohl es dort nur eine Buchhandlung und einen Büroramschladen mit Buchabteilung gibt sowie eine Bücherei, die dürftig das dürftige Leserbedürfnis abdeckt. In Wien gibt es seit Jahren eine Forschungsinstitution zum Buchwesen. Aber ein künstlich errichtetes Zentrum in einem Nichtbuchort als Buchort scheint kulturpolitisch relevanter. Das Institut in Wien geht den Bach runter.

Die Akademie der Wissenschaften spart kleine Institute ein, während man aus Prestigegründen woanders eine Eliteuniversität eröffnet, weil es dem Bundesland hilft und Österreich. Vielleicht ersparte sich unsere Republik X Millionen, wenn Sie anstatt teure Bibliotheken bessere Internetanschlüsse an amerikanische Datenbanken herstellt: Google scannt fast alles ein, was zu digitalisieren ist, nicht? Vielleicht könnte man dann auch die teuren Gemäldeschuppen wie die Albertina einsparen, indem jeder Besucher einen Sound-sight-helmet übergestülpt bekommt; das mindert gewaltig das Budget und die enorm hohen Versicherungskosten. Und, ganz wichtig, man braucht keinen wasserdichten, unterirdischen Speicher… Vielleicht lauert in der Digitalisierung überhaupt ein riesiges Abbaupotenzial? Das wäre doch was Neues: Anstatt Aufbau Abbau, und das ohne Kriegshandlungen. Als Marktreaktion.

Die Hauptbücherei am Gürtel der Wiener Büchereien ist eine Sozialeinrichtung in benutzerfeindlicher Architektur. Die offenen Geschosse leiten den Lärm, den es hier aus lauter Kinder- und Jugendliebe dauernd gibt, überhall hin weiter. Nachdem es das Ziel der Kulturpolitik ist, Nichtleser in die Bücherei zu locken, kommen Jugendliche, die sich wie am Gürtel, am Sportplatz oder in der Kneipe benehmen. Aber sie zählen als Besucher. Lärm ist akzeptiert. Als ich deswegen nachfrage, werde ich schräg angesehen, als ob ich etwas Unanständiges wolle, nämlich Ruhe. Das ist doch verschroben elitär. Haben Sie etwas gegen Junge, gar Türken? Nein, aber gegen Lärmende. Wir tun ja was. Telefonieren ist nicht erlaubt. Stimmt. Nicht einmal im viel zu kleinen Vorraum, bei der Ausleihe, wo mehrere Warteschlangen die Wege versperren, weil die Architekten nicht an die Praxis dachten. Man muss schon raus aus der Bücherei, um telefonieren zu dürfen. Sehr freundlich. Dafür dürfen Kinder kreischen, Muttis gellen usw. Das ist sozial. Denn Soziales geht vor! Lektüre und Studium sind sekundär. Wer kommt denn auch zum Studieren in eine Bücherei! Dafür gibt’s die UBW. Stimmt.

Ich find es gut, dass Bibliotheken und Büchereien allen gratis offen stehen. Aber ich bin überhaupt nicht davon überzeugt, dass man mit der Verlagerung der Dienstleistungen den Sinn solcher Einrichtungen stärkt. Im Gegenteil, man unterminiert ihn, schwächt ihn. Bald wird es primär um Grätzelbegegnungsstätten oder Dorftreffpunkte (weil die Gasthäuser schließen) gehen usw. Bald werden Leser in der Minderheit sein, wonach dann das anrüchig Elitäre noch offensichtlicher erscheint, worüber die sich modern Wähnenden noch leichter werden mokieren können. Nebeneffekt: Die wenigen Bücher, die dann noch einige Professionelle reklamieren, werden in ausgewählten Fachbibliotheken verfügbar sein, während die Masseneinrichtungen zu Unterhaltungstempeln geworden sein werden. Brave New World.