Anschaulichkeit

/ Haimo L. Handl

Die bedeutenden Kommunikationserfolge über die Neuen Medien, aber auch über die Television, werden durch Anschaulichkeit erzielt. Komplexe Informationen werden entweder simplifiziert ‘übersetzt’ in eine leicht konsumierbare Bildhaftigkeit oder erreichen kein Massenpublikum. Qualität wirkt nicht massenhaft, ist kein Geschäft.

Die kriminellen Finanztransaktionen lassen weite Teile der Gesellschaften kalt, so lange ‘Ergebnisse’ (Profite oder Verluste) nicht anschaulich vermittelt werden. Gesellt sich zu dieser Anschaulichkeit noch konkrete Erfahrung, können Stimmungsbilder kippen, Revolten entstehen.

Der amerikanische Traum im Land der unbegrenzten Möglichkeiten erlitt nicht durch Analysen und fundierte Berichte Kratzer und Brüche, sondern wurde erst dann spürbar geschüttelt und überschattet, als Hunderttausende von Kreditnehmern infolge der Krise ihre Hypothekenraten nicht mehr zahlen konnten und damit ihre Häuser verloren. Ähnlich bei Anlagengeschäften mit Spekulationspapieren. Die Eindrücke gewinnen an Stärke, wenn sie sich ‘konkretisieren’, spürbar werden.

Die hohe Bedeutsamkeit von konkreter Anschaulichkeit lässt sich auch historisch ablesen. So führten z. B. die langwierigen, umständlichen, beschützten Geldtransporte der Ablassgelder von Deutschland zum Papst nach Rom zu einigem Aufsehen und halfen zur Festigung der Vorstellung des ausbeuterischen ‘Heiligen Stuhls’. Denn die Trosse mit den schweren Geldtruhen und bewaffneten Begleitern waren nicht propagandistische Worte, keine Kupferstiche oder erzählte Mär, sondern direkt verfolgbares Ereignis, das zündete. Der Funke zur Revolte, zum Widerstand gegen Rom, zum Schisma, zündete früher und eher, weil durch Anschaulichkeit in kürzerer Zeit intensiver die ‘Botschaft’ sich vermittelte.

Diese Anschaulichkeit wirkt in jede Richtung. Also auch in die falsche. Im Westen, wo die meisten sich in einer freien Medienlandschaft wähnen, fragt fast niemand nach den Hintergründen der Waffenversorgung der syrischen Opposition. Es gilt die Annahme, nur die Regierung und ihre Truppen seien mörderisch am Werk. Die Bilder scheinen jede Frage nicht nur im Voraus zu beantworten, sondern verhindern viele kritische Fragen. Kein Wort, weil kein Bild, über die Hintergründe hegemonialer Ambitionen und Realpolitiken, nicht nur der USA, sondern auch der Türkei.

Von lästigen Asylanten gibt es Bilder. Von Kleinkriminellen auch. En masse. Ihre Belastung für europäische Staaten ist im Vergleich mit den exorbitanten Verbrechen der Hochfinanz gering. Aber die Hochfinanz in weißer Weste wird nicht verbrecherisch gesehen. Das elektronische Buchgeld ist nicht anschaulich, wie anno dazumal die konkreten Geldverschiebungen es waren. Hier sind keine Männer mit Koffern unterwegs.

Andererseits könnte man im hysterischen, keiner rationalen Kontrolle standhaltenden Finanzhandelsverhalten eine moderne Abart des Ablassunwesens sehen. In beiden Bereichen ging und geht es um irreale Werte, die für Privilegierte zu realen führ(t)en.

Vielleicht müsste man diese Unanschaulichkeit gezielt konterkarieren mit anschaulichen Versinnbildlichungen? So wie einst die biblia paupera den Unterschichtlern die Heilsbotschaft, die Wahrheit, vermittelte, könnte eine bildhafte Verdeutlichung und Konkretisierung der hochabstrakten Vorgänge im Finanzwesen, im syndikalisierten Verbrechertum der Racketeers, vielleicht jenen Grad an Unruhe erzeugen, der Regierungen in Europa dann zwänge doch einzuschreiten und die offene Kumpanei, das schlimme Mitmachen, zu mindern, wenn schon nicht zu stoppen.