Gewaltklima

/ Haimo L. Handl

Gewalt äußert sich in vielfältigen Formen. Sie ist ein fixer Bestandteil aller Kulturen. Aber die Wahrnehmungsweisen und Reaktionen auf Gewaltakte sind höchst unterschiedlich.

Vor Kurzem wurde in Winterthur, Schweiz, ein Mann zu einer siebenjährigen Freiheitsstrafe verurteilt, weil er in einem Inserat eine Mutter mit ihrer Tochter zur Schlachtung feilgeboten hat; 39 Interessierte hatten sich gemeldet. Die Sexologin Christa Gubler wundert sich, dass nicht mehr Interesse zeigten. Die Empörung ist groß.

Folterfantasien, Tötungswünsche und konkretes Morden sind alltäglich. Je nachdem, in welchem Gewand sie auftreten, sind die Reaktionen der Öffentlichkeit verschieden eindeutig und intensiv.

Der ‘Fall Breivik’ in Norwegen zeigt nicht nur ein subjektives, kriminelles Problem eines Einzeltäters auf. Im Prozess schält sich der politische Aspekt erschreckend heraus.

In Deutschland vermochte die nazistische ‘Zwickauer Zelle’ während 10 Jahren, vom Verfassungsdienst beobachtet und kontrolliert, zu morden. Bürokratische Fehler und Kompetenzen-Dschungel hätten ein erfolgreiches Eingreifen verhindert, heißt es.

Rufen Islamisten zum Mord auf, wird das meist mit etwas kleinlautem Protest abgetan. Erinnern Sie sich noch der öffentlichen Demonstrationen in einigen europäischen Städten, als Islamisten eindeutig zu Morden an Ungläubigen aufriefen, Enthauptungen forderten? Im ‘Westen’ scheint die Fatwa zum Mordaufruf hingenommen zu werden. Offensichtlich reicht die Beleidigung Allahs oder seines Profeten aus, Mordaufrufe zu rechtfertigen bzw. hinzunehmen. Die laxen Reaktionen und lahmen Proteste bzw. fehlenden Einschreitungen begünstigen diese gläubigen ‘Hardliner’.

Umgekehrt scheint die Bereitschaft zu einem Krieg z. B. gegen den Iran einhellig, wenn es um die Bedrohung Israels geht. Während die Mordverfolgungen konkret sind, und ihnen ohne Krieg entsprechend begegnet werden könnte, taugt eine vermutliche Bedrohung zur Kriegsdrohung. Seltsame Rechtsauffassungen.

Die USA, als Demokratie missverstandene Leitmacht, bricht systematisch Menschenrechte und foltert. Für Frieden und Freiheit. Ihre Soldaten liefern immer wieder Beispiele barbarischer Grausamkeit. Sollen diese gegen die Hinrichtungen und Tötungen der Islamisten aufgerechnet werden? Gelten für die ‘Guten’, als welche die USA und ihre Verbündeten auftreten, eigene Gesetze? Läutert IHRE Moral Folter und Mord?

Viele im Westen zeigten sich angewidert über die Hinstreckung von Gaddafi. Aber die Abschlachtung von Bin Laden war doch eine meist erfreut aufgenommene ‘Erfolgsmeldung’. Lehrstücke in Rechtsauslegungen, in der Relativität der Werte und Rechte.

In vielen islamischen Ländern reicht schon ein Akt der Blasfemie, um sein Leben zu verwirken. Feinde werden hingerichtet oder zum Abschuss freigegeben. Da ist Israel als ‘westliche Demokratie’ noch humaner: Die Kampagnen gegen seine Feinde resultieren in Rufmorden und breit unterstützten Hetzkampagnen. Aber der unduldsame Geist der sich in der ‘Wahrheit’ Wähnenden ist gleicher Qualität. Die Mittel sind unterschiedlich. Wobei die Mittel im Krieg jedoch wieder zur Tötung finden, weil Krieg Vernichtung ist. Der wird aber, im Namen des Friedens und der Freiheit, gerechtfertigt bzw. sogar als unabdingbar, als nötig hingestellt. Wiederum die Relativierung von Recht und Werten.

Töten und Morden ist so alltäglich wie Sport. Viele geben sich willig den Unterhaltungssendungen und Filmen hin, die als Krimis oder Kriegsfilme vor allem von Einem handeln: vom Töten. Die Jagden, Verfolgungen, das Morden und Töten, werden uns in vielfältigster Weise nahegebracht, als unterhaltsamer Kitzel verkauft. Und konsumiert.

Natürlich sind Krimizuschauer oder Kriegsfilmbegeisterte nicht potentielle Täter. Aber wegen des Fehlens entsprechender Erziehung und Bildung schafft die Dauerberieselung mit Gewalt, Mord und Totschlag und Folter gesellschaftlich ein Gewaltklima, das sich allzu leicht mit dem der politischen Gewalt verbindet. Das war in den exjugoslawischen Kriegen nicht anders als in Ruanda und Burundi, es ist nicht anders in den moslemischen Ländern und im Westen, wo für immer mehr Leute die ‘Sprache der Tat’, der konkrete Mord, zum ‘schlagenden’ Argument wird.