Was sind das für Zeiten

/ Haimo L. Handl

Wir leben in finsteren Zeiten. Das ist nicht nur ein Zitat, sondern auch eine aktuelle Feststellung. Berühmt geworden ist die Aussage durch Bertolt Brechts Gedicht, das er im Exil schrieb: ‘An die Nachgeborenen’. Besonders drei Zeilen aus dem ersten Abschnitt sind Allgemeingut geworden: ‘Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!’

Das Bedürfnis, auch in schlimmen Zeiten sich nicht immer nur mit dem Schlimmen zu konfrontieren, ist nicht nur verständlich, sondern auch legitim. Dennoch. Es kommt auf das Verhältnis, das Maß an. Was blende ich aus, wessen gedenke ich? Was bedenke ich, was deute ich wie?

Ich habe kein schlechtes Gewissen, wenn mir mein Essen mundet, obwohl ich von den Hungerkatastrophen weiß. Ich lasse mir Erotik und Sex nicht verderben, obwohl ich von armen Einsamen oder Behinderten oder Missetätern weiß. Ich genieße Musik, obwohl ich vom Kriegslärm weiß. Dennoch. Ich esse nicht nur, ich höre nicht nur, ich lese nicht nur, ich schwelge nicht nur im Sex. Das Leben ist vielfältiger. Und einige der Falten sind die horriblen der Kriege, der Gewaltverbrechen, der Ausbeutung, der verheerenden Korruption, der niederträchtigen Politik.

Manchmal verschieben sich die Maßstäbe, die Dringlichkeiten, die Wahrnehmungen, die Aktionen und Reaktionen. Ich will mich eigentlich nicht dauernd mit dem Bösen auseinandersetzen. Aber es drängt sich auf, weil es brennend ist, weil es brennt. Ich bin schon froh, dennoch das Positive beachten und haben zu können. Aber ich kann und will das Andere, das Dennoch, nicht ausblenden. Deshalb immer wieder die Kritik, die Warnung, das Bedenken.

Trotzdem weiß ich um den Wert des Schönen, das man heute sich fast nicht mehr traut es (so) zu nennen. Deswegen beglücken mich Lektüren, Musik, Kunst und gute Gespräche. Ich weiß, dass viele in der Natur ihre Erholung finden. Andere im Sport. Was immer, es gibt Positives, und es ist nur vernünftig, es zu teilen, zu festigen, zu vermehren. Auch in finsteren Zeiten. Immerhin schrieb Brecht Gedichte und nicht nur Klassenkampftexte. Immerhin genoss er sein Leben, soweit es ihm möglich war. Recht hatte er! Und Recht haben wir, wenn wir, trotz aller Bedenken, auch das Positive suchen und finden - und teilen.