Wulfferei

/ Haimo L. Handl

Nun ist er also doch zurückgetreten. Er habe ein paar Fehler gemacht, sei aber immer aufrichtig gewesen, betonte er zum kurzen Abschied. Er sieht sich als Opfer der Medien und von Kampagnen. Der Druck war zu intensiv geworden. Und die Kanzlerin, die ihm immer den Rücken stärkte, konnte auch keine Wunder mehr bewirken. Also trat er zurück. Viele Freunde werden seiner warten und ihm helfen, wie sie so freigiebig immer geholfen haben, sei es mit Gratisurlauben, kleinen und größeren Zuwendungen, Geschenken, Vorteilen und dergleichen, was man bei Managern ‘incentives’ nennt.

Christian Wulff verkörpert den Schnäppchenjäger, den Schmarotzer, den Günstling, der es sich in der Glamourwelt richtet. Er war erst nach dem dritten Wahlgang erfolgreich; die Kanzlerin wollte unter anderem einen möglichen Konkurrenten los werden. Dem Publikum gefiel der charmante Glänzer und Blender; er repräsentiert das Bild der modernen, chicen Erfolgsgeneration.

Dieser Typus ist nicht nur auf Deutschland beschränkt. Fast überall in der westlichen Welt trumpfen die Nichtkompetenten auf. Die Strahletypen. Die Kinder der Facebook-Generation, der lächelnd Bedürftigen, die sich elegant geben, aber auf Pump leben. Die Täuscher, die sich keiner Schuld bewusst sind, die aber dann verärgert doch laut reklamieren, wenn der Rubikon, nach ihrem Empfinden, überschritten wird, jene Zumutbarkeitsgrenze, wenn man das Substanzielle hinterfragt, die Hintergründe gewisser Leistungen, bestimmten Verhaltens. Die Trübung des Scheins ist ein Vergehen. Fast hätte der Kurzzeitpräsident gewonnen, wenn es ihm gelungen wäre, die Nörgler, die Kritiker, die Investigativen zum Schweigen zu bringen. Es kam anders.

In Österreich haben es solche Figuren viel leichter. In unserem Land mit gesetzlich geschützter Korruptionskultur, mit einer langen Pflege von Strahler-Glänzer-Typen müsste schon mehr passieren, dass einer zurücktritt. Was früher der Herr Karl war, sind heute auf der einen Seite die oberen Manager, vor allem im Bankenbereich und den wichtigsten, größten Unternehmen, und andererseits der Klüngel von ‘Vermittlern’ und Konsulenten, die Gelder verteilen, Dienste bzw. Willfährigkeiten ein- und verkaufen und auch die Medien bestimmen, die öffentliche Meinung.

Unser Bundespräsident ist ganz anders als der Wulff. Klar, er kommt aus einer anderen Generation. Aber handelnd aktiv ist er dennoch nicht. Er stammt aus einer Zeit der filternden, zudeckenden Gemütlichkeit, der unverbindlichen Schönworte. Er ergänzt damit das Bild der Schwätzer, die mal eloquent, mal polternd von großen Werten reden, während das eigentliche Geschäft professionell im Hintergrund abläuft. Ob Waffendeals oder Joint Ventures, ob Bankenakquisitionen oder Telekom, Rundfunk oder sonst ein lukrativer Bereich, bei uns läuft alles gut geschmiert. Erst nach den Aussagen des Herrn Hochegger bequemt man sich, eine gewisse Offenlegung der Parteienfinanzierung zu installieren. Die eigentlichen Prüfinstrumente, die es schon lange gibt (Rechnungshof), werden bewusst zahnlos gehalten. Die Untersuchungsausschüsse haben keine Gerichten vergleichbare Sanktionsgewalt. So kann alles auf der Ebene der Gespräche bleiben, der öffentlichen Kommunikation. Nur in gewissen Fällen werden gewisse Fälle gerichtsnotorisch. In der Regel läuft alles geregelt elegant, strahlend, fröhlich-munter.

Wulff und die Wulfferei steht aber auch für ein Wertesystem, das sich im Bildungs- und Kulturbereich merkbar auswirkt. Es regiert mehr der Schein als das Sein, und letzteres mehr als das Haben. Denn die ‘Verantwortlichen’ gehen mit Werten um, die sie nicht als eigene ‘haben’, sondern nur ‘managen’. Deshalb müssen jene, die noch haben, zahlen. Mit Steuermitteln wurden die maroden Banken auf Vordermann gebracht. Wohlweislich wurde erst gar nicht nach den Rationalen gefragt, die zu den enormen Ostakquisitionen führten. Wenn’s gut gegangen wäre, stünden die Banken als Gewinner da. Wenn Weitblick und realistische Einschätzung geherrscht hätten, wär’s nicht zum Debakel gekommen. Aber die netten Herren, die so gern die Zurufer und Kritiker als Deppen und dumme Laien hinstellen, haben versagt; sie reden sich auf die Weltwirtschaftskrise aus. Eine billige Ausrede, die ihr Unvermögen, ihre durch nichts abgestützte Risikobereitschaft (außer eben Steuergeld), decken soll.

Nicht einmal mit ihrem Privatvermögen müssen sie gerade stehen. Da schwätzen Strahler, Wulffer, von Verantwortung, übernehmen aber keine. Manchmal verbal. Echte Verantwortung wäre auch nicht nur ein Rücktritt, sondern Entschädigungszahlung. Wobei sichergestellt sein müsste, dass auch auf zuvor smart an Gattinnen, Freundinnen oder Verwandte (die berühmte Schwiegermutter & Co.) verschobene Finanzen, Mobilien und Immobilien zur Abdeckung der Schuld zurückgegriffen werden könnte. Nichts davon. Im Gegenteil, die Boni werden erhöht. Die Wulffer brauchen Geld - und weitere Incentives.

Wenn man heute junge Absolventen der Universitäten nach Leistung und Verantwortung fragt, erhält man eigentümliche Antworten. Geht es um die Bildungsmisere, hört sich das ganze noch wunderlicher an. Leute, die früh sich einüben in den Anpassungsleistungen für die Wulfferei, die Strahler-Glänzer-Schicki-Micki-Gesellschaft, können nicht so recht von eigener Verantwortung, von Charakter und Courage reden. Eher, wie in den Sozialnetzen, von der gesteigerten Fähigkeit der Imagepflege, der vernetzten Kontakte, die man nicht mehr Seilschaften nennt.

Für Deutschland ist nur vordergründig mit einem neuen Präsidenten das Problem gelöst, für uns in Österreich mag das manifeste Fehlen eines Wulffs willkommen darüber hinwegtäuschen, dass unsere Gesellschaft mit ihrer Kultur völlig verkommen, das heißt, verwullft ist. Da bedarf es schon mehr, als dass nur ein paar Köpfe rollen.