Ersatzantirassismus

/ Haimo L. Handl

In Deutschland, wo die politische Korrektheit seltsame Sumpfblüten treibt, wurde, beeinflusst von US-amerikanischen Erfahrungen, darin Rassismus gesehen, dass ein kleines Theater in Berlin eine Schwarzenrolle mit einem Weißen besetzte und nicht mit einem Negro. Rasch sammelten sich wütende Besorgte im Netz und drangen bis in die schwachbrüstigen Redaktionen vor, um diese Rassistentat zu verurteilen. Ganz wenige Journalisten trauten sich, den aufgeblähten Zirkus zurückzuweisen. Eine Mehrheit sieht sich als Anwalt der Rassistenopfer und Verurteiler der bösen Rassisten.

In einem Artikel wurde eine New Yorker Kulturwissenschaftlerin, Peggy Piesche, zitiert, die das schändliche ‘Blackfacing’ in Deutschland analysiert: ‘Auch in Deutschland ist Blackfacing einer eigenen Tradition gefolgt, die rassistische Hintergründe hatte’ und führt als Beispiele auch den Karneval an, oder wie Schwarze karikiert werden. Eine enragierte Schauspielerin, Sophia Milagro, befand apodiktisch: ‘Durch das Schwarz-Schminken wird unfreiwillig gezeigt, dass die Hautfarbe und die damit verbundene Rassismus-Erfahrung für die Authentizität dieser Rolle wichtig ist. Doch diese Erfahrung kann nur nachvollziehen, wer selbst schwarz ist’. Frau Milagro hat eine Gruppe schwarzer Schauspieler in Deutschland, ‘Label Noir’ gegründet.

In Großbritannien war in dem liberalen Magazin SP!KED vom 5.1.2012 zur Perversion des Antirassismus (Official anti-racism: the new nationalism) zu lesen, dass in dem Maße, wie der messbare Rassismus im Königreich in den letzten 20 - 30 Jahren abnahm, die Meldungen über vermeintliche rassistische Vorfälle überproportional zunahmen. Der Autor, Mike Hume, führt dies auf den Kultur- und Gesellschaftswandel zurück, in welchem Rassismus mehr zu einer Sache der Moral wurde, zu einem Belegsinstrument politischer Korrektheit. Wäre nicht einmal der Anflug von Rassismus, würden ihn diese Anwälte politischer Korrektheit erfinden, da sie ihn als Gegenpol brauchen.

So ähnlich kommen mir die entrüsteten Protestierer vor, die Didi Hallervorden und sein Theater als rassistisch angriffen. Folgte man der Logik der Argumentation, die nicht zufällg den Begriff ‘authentisch’ strapaziert, müssten Mörder Mörder spielen, echte Vergewaltiger den Unhold geben, weil spielen in deren perversen Verständnis eben nicht mehr spielen ist, sondern gesellschaftliche Rollenerfüllung. Nur Schwarze dürfen Neger darstellen, nur Chinesen Gelbe, nur Frauen Frauen. Keine Hosenrollen mehr! Wie steht’s mit dem Alter? Mit Kranken? Wie inauthentisch ist die Darstellung von Kranken, Junkies und anderen durch Gesunde? Was, wenn sich eine Truppe frech erdreiste, Migranten, Flüchtlinge, Asylanten durch wohlbestallte Einheimische darstellen zu lassen? Da verkommt ja die Authentizität! Und die ist laut Fau Milagro doch Voraussetzung: man muss es sein um zu scheinen. Das Ende der Schauspielkunst, der Triumph der Seinskunst.

Die Sicht dieser Anwältinnen ist eine verkehrte: Theater muss mehr sein als Schein. Kunst ist Leben, wie der verdummte Großkünstler in Deutschland lehrte. Kein Unterschied. Kein Schein. Also: auf dem Theater Realität! Authentizität! Die Forderungen dieser Polizistinnen und Polizisten verläuft in ähnlich rigiden Bahnen wie die ehedem von Faschisten formulierten (gegen die entartete Kunst) oder von den Stalinisten und Realsozialisten im sozialistischen Realismus. Freiheit? Nur die approbierte.

Erstaunlich, dass noch Klassikerwerke aufgeführt werden, die doch nach Struktur und Personage so gar nicht den Werten unserer Demokratie entsprechen. Wann setzt man sie endlich ab (nicht nur Shakespeares ‘Der Kaufmann von Venedig’ - das Repertoire ist voll von bösen, inkorrekten, veralteten, monarchistischen Stücken, meist extrem frauenfeindlich …). Die große Reinigung ist angesagt. Raus mit dem Schund aus den Bibliotheken! Weg mit den Stücken von den Bühnen, von den TV-Schirmen. Nur Aufführungen mit Schauspielertruppen, die genau nach Gender- und Rassenquote einwandfrei, ‘sauber’, korrekte Stücke bringen. Es scheint, einige wollen ein neues Ministerium für Volksaufklärung oder eine europäische Glawlit.