Spektaky

/ Haimo L. Handl

Der Jahreswechsel wird auch in den sogenannt aufgeklärten Gesellschaften nach einem atavistischen Ritual gefeiert, auch wenn die meisten die Hintergründe nicht kennen. Eine Mischung von religiösem, heidnischem und profanem Feiern, sogar dort, wo die Ausgelassenheit dominiert. Denn Feste bieten und sollen Gelegenheit bieten zum Ausgelassensein, vor allem für jene, die selten Auslauf haben, fast nie gelassen sind, selten ausgelassen. Man lässt die Sau raus und fühlt sich befreit, ausgelassen. Der gemeinsame Konsum hilft wie bei der Kommunion und schafft das Trugbild von fröhlicher Runde, Gemeinschaft. Man wünscht den Andern wie sich selbst, was man immer wünscht, alle Jahre wieder, und freut sich, dass es noch möglich ist.

Auch wenn man weiß, was alles falsch lief, im zu Ende gegangenen Jahr, wie hohl und leer die stereotypen, ritualisierten Vorsätze sind, pflegt man sie intensiv. Es gehört dazu.

Nachdem bei uns kein Krieg herrscht, ergötzt man sich an Feuerwerken und scheut keine Summen für die hochgeliebte Pyrotechnik. Millionen, europaweit Milliarden, werden verfeuert, in die Luft geschossen, damit die Ausgelassenen ihre Gaudi haben, und einer alten Triebregung lustig nachgeben dürfen: es bummst und kracht und leuchtet und glitzert. Alles geordnet, kontrolliert, ohne Gefahr.

Dass die echten pyromanischen Feuerwerke, die Granaten- und Raketeneinschläge, der Bombenhagel, das Trommelfeuer, in ihrem Lärm der Feuerwerksgaudi so ähnlich sind, wird verdrängt. Noch halten die marktsmarten Künstler mit Projekten zurück, dass man ganz realistisch, ganz modern sich nicht mit Spielereien abgebe, sondern ECHTES Feuerwerk produziere.

Wie würden die Leute staunen, mit offenen Mäulern dastehen, aufgerissenen Augen, den hochspringenden Adrenalinstoß genießend, japsend, wenn das Feuer nicht nur farbig verpuffte, sondern einschlüge. Man stelle sich vor: Die Ausgelassenen würden ergriffen werden, getroffen, geschlagen, begraben in einem tödlichen Hagel, wie er für viele Tausende zum elenden Alltag gehört, auch zu Silvester, zum Jahreswechsel, der nur ein Wechsel des Datums ist, nicht aber der Zu- und Umstände, die Feuer bringen, Krieg und Tod, immer wieder, ganz ohne Feiern, aber mit Lärm und sprengender Kraft.

Wenn Feuersäulen sich erhebten, Rauchwolken emporstiegen, Geschoßbahnen verfolgbar wären, würde das den Kitzel nicht steigern? Wahrscheinlich nur, wenn man außerhalb der Gefahrenzone wäre, am Besten vor dem Bildschirm. Der Golfkrieg war ja auch ein Hochfest für die Neuen Medien: So geil konnte man noch nie gezielte Kriegsführung in Hightech genießen!

Der Realismus lebt sich unfestlich aus: Bei uns kaschiert, gefiltert, andernorts offen, brutal, grausam. Wie es sich gehört. Es sei jedem unbenommen, sich zu freuen, zu tanzen und zu trinken. Aber ich kann nicht umhin, als bei Operetten an Karl Kraus zu denken (nicht nur ‘Die letzten Tage der Menschheit’ *) und beim Radeztkymarsch, wo das Publikum seinen dunklen Reflexen willig nachgibt und im Rhythmus klatscht, alle Bilder von diesem Kriegsherrn, dem fürs Kaiserhaus so erfolgreichen, gekonnt nicht bedenkend, eben an Krieg zu denken und das kurze ‘Kriegsglück’. Der höchstdekorierte Heerführer und Feldmarschall Josef Wenzel Radetzky von Radetz war ja so erfolgreich, da darf man nicht nur, sondern soll auch klatschen, zur Strauss-Musik, zur Gaudi, besonders zu Neujahr. ‘In deinem Lager ist Österreich’ und Österreich ist in der Welt, und das bringt Geld, zu Silvester, zu Neujahr, immerdar.

*) ‘Eben die Gehirne, die noch auf den Radetzky-Marsch zugeschnitten sind, dürften es ja so weit bringen, daß die angeborene Wehrhaftigkeit von dem Fortschritt der Chemie gründlicher enttäuscht wird, als es selbst zwischen 1914 und 1918 geschah.’ Karl Kraus: Die Fackel: Nr. 868-872, März 1932