Der feindliche Bürger

/ Haimo L. Handl

Im Obrigkeitsstaat war immer alles klar: Ganz wenige waren oben, die meisten unten, und die wussten, wie sich zu verhalten. Sie nahmen es als natürlich hin, als gottgegeben. Die hohen Priester halfen nach, nahmen etwa Mürrische ins Gebet, damit die Unteren sich dankbar in ihr Schicksal fügten. Irgendwie kam das dann doch zum Bruch.

In Diktaturen sei das auch klar, sagt man. Nun ja, scheint einleuchtend. Gänzlich anders sei es in Demokratien. Nach dem Zweiten Weltkrieg erblühten die Demokratien, orientiert an den Menschenrechten. Der Mensch sei frei, zumindest mehr und weiter und gesicherter als vorher. Der Westen rühmte sich als ‘freie Welt’.

Es dauerte aber nicht lange, und mehr und mehr Leute nahmen die Gesetze ernst. Pochten auf sie. Das störte Geschäfte und ihre politische Kaschierung, pardon, Legitimierung. Es traten auch Terroristen auf, den alles zu langsam ging. Das war für die Machthaber und die Vorderen sowie die Drahtzieher dahinter, die Finanziers, willkommener Anlass, zuerst Retuschen durchzuführen, dann immer rigider Bürgerrechte einzuschränken und aufzuheben. Im Gleichklang mit der Technik bzw. durch diese erst praktizierbar gemacht, wurden immer mehr Bereiche der staatlichen Kontrolle unterstellt. Alles im Namen der Sicherheit. Für das Wohl der Bürger. Gegen die Staatsfeinde. Die Terroristen, Kinderpornovertreiber, Missbrauchstäter usw.

Langsam wurde das Privatleben aufgebrochen, der Datenverkehr enteignet. Was früher durch eine Brief- und Fernmeldegeheimnis geschützt war, gilt lange nicht mehr, weil die Technologie es ermöglichte, alles, wirklich alles, was verkehrt wird, in Verkehr ist, zu überwachen.

So konnte in Österreich zum Staats- und Firmenschutz eine böse terroristische Gruppe ausgehoben und überwältigt werden, die sich feige als Tierschützer verkleidet hatten. So fand man überall Kinderpornografen (welch zweideutiger Ausdruck) und wird bald noch viel mehr finden. Die Tierschützer wurden dann nach einem eigentümlichen Prozess freigesprochen, weil, trotz der neuen Paragrafen, die eigentlich dem Polizeistaat freie Hand hätte bieten sollen, doch noch einige andere Bestimmung zu beobachten waren. Man kam nicht umhin. Vorderhand musste man zurückkrebsen.

Die sensationsgeile ‘Berichterstattung’ (Ha! Sie reden von Berichterstattung!) lenkt die öffentliche Aufmerksamkeit gekonnt in ungefährliche Felder, hilft bei der Privatisierung. Das damit erzeugte Angstklima führt dazu, dass immer weniger murren, wenn die Polizei immer weitere Rechte erhält. Immer mehr Trottel bekunden lautstark, sie seien lauter und hätten eh nix zu verbergen.

Jene, die bemerken, dass im Überwachungs-, Kontroll- und Verfolgungssystem, das sich mit der höchstentwickelten Technik ausgestattet hat, von der die Vorbilder, Gestapo, NKDW und KGB, nur träumen haben können, einerseits eine gezielte Einseitigkeit herrscht, weiters eine der parlamentarischen Kontrolle entzogene Herrschaftsausübung sich breit gemacht hat, andererseits die technischen Mittel just dort nicht eingesetzt werden, wo sie hülfen, mafiotische Organisationen auszuheben, betrügerische Bankgeschäfte zu belegen und damit abzustellen, werden mundtot gemacht, bis man, später, wenn die Machtlage es gestattet, ‘adäquat’ mit ihnen wird umgehen können.

Das heißt: Die minuziöse Überwachung der elektronischen Kommunikationen zwischen den Börsen, Banken und Finanzorganisationen findet NICHT statt, obwohl die Regierungen behaupten, alles müsse genauestens überprüft werden, um den Krieg gegen den Terrorismus erfolgreicher führen zu können, um pornografische Kinderschänder zu fassen oder jene Verdächtige präventiv auszusondern, von denen die geschulten Experten, Psychologen und Psychiater, warnen, dass sie nächstens Amok laufen werden.

Das bedeutet weiters, dass gerade jene Kräfte, die die Gesellschaften extrem schädigen, in den Ruin treiben, nicht nur nicht überwacht und kontrolliert, sondern aktiv unterstützt werden (was Wunder, da sie Teil des Machtsystems bzw. die eigentliche Macht sind).

Nein, die Banken transferieren. Und genau diese Transaktionen, die alle elektronisch laufen, werden nicht überwacht. Man stelle sich vor: Jede Verschiebung wäre nachweisbar, führte dazu, dass Banken konfisziert würden, dass Manager als Kriminelle vor Gericht kämen, wo dann Richter unerschrocken doch noch unabhängig Recht sprächen, weil im Gesetzeskodex doch noch Paragrafen existieren, nach denen sie aburteilbar wären, weil dieser Kodex noch nicht, auch in Italien nicht, wo die Zurechtzimmerung zugunsten von Politverbrechern weit fortgeschritten ist, dergestalt umgebaut ist, dass die Clicke ‘frei’ schalten und walten könnte. Sie hat zwar bislang den höchsten Freiheitsgrad für sich erreicht, aber noch nicht unumschränkt. Deshalb werden ja auch terroristische Anschläge inszeniert oder bestellt, werden Kriege geführt, damit das wichtige Instrument der eigentlichen Macht, zumindest im Innern, die Polizei, mehr Befugnisse erhält, bis dann jener Zustand erreicht ist, wo erstens nicht mehr gefragt wird und zweitens niemand mehr fragt.

Inzwischen wird in einem breiten Bildungs- und Unterhaltungsprogramm die allgemeine Verblödung verbreitert und vertieft. Die gepflegte Oberflächlichkeit garantiert, dass nur wenige merken, dass sie eigentlich, die Bürgerinnen und Bürger, der Feind sind, gegen den vorgegangen wird. Wie früher, muss dieser Feind die Maßnahmen gegen ihn noch finanzieren.

Die europäische Konvertierung der Demokratien in Polizeistaaten verläuft unterschiedlich schnell, intensiv und erfolgreich. In Österreich wird jetzt ein neues Sicherheitspolizeigesetz installiert, das einen weiteren Abbau an Rechtsstaatlichkeit darstellt. Vertreten von den Regierungsparteien, zwei konservativen Lagern, wovon eines offen die Geschäftsinteressen vertritt, das andere verdeckt, kaschiert mit den letzten Maskenfetzen von Sozialdemokratie.