Das rechte Maß

/ Haimo L. Handl

In der TAZ warnt jemand, man möge die Mordanschläge auf Christen nicht als Verfolgung darstellen, die gäbe es nicht. Andere werben für Verständnis verletzter Moslemseelen aufgrund beleidigender Karikaturen oder der Weigerung einiger Staaten, in ihren Ländern Moscheen mit Minaretten bauen zu lassen. Die Eurokrise werde herbeigeredet, es sei eigentlich alles im Griff und unter Kontrolle. Wenn was schief gehe, stünden Rettungsgelder bereit.

Die chinesische Regierung zeigt wirtschaftlichen Verstand und kauft europäische Staatsanleihen. Für die Rettung zeigen sich die unterstützten Regierungen dankbar und mischen sich nicht ungebührlich in innere chinesische Angelegenheiten ein. Andere wiederum nennen das Prostitution, weil sich diese Regierungen kaufen lassen und kollaborieren.

Das kann man nüchterner als übliche Realpolitik sehen, die es immer schon gab, nur nicht so breit ausgewalzt in den Medien. Damit die Medien nicht überall, z. B. vor allem nicht in Ungarn, so dreist verzerren, nimmt die ungarische Regierung sie an die Kandare. Das nennen einige Zensur. Aber die ungarische Version ist nicht viel schlimmer als die in Italien und einigen anderen EU-Ländern, wo die Zensur nur anders genannt wird oder wo, wie bei Berlusconi, durch eine gleichgeschaltete Medienlandschaft, erst gar keine Zensur mehr nötig ist für den regierenden Machthaber.

Der freie Markt dürfe nicht gestört werden, weshalb in Österreich die Textilkette Kleiderbauer sofort Polizeischutz erhielt: Die verdächtigen Tierschützer werden als Terroristen behandelt und fertig gemacht, während die Justiz in anderen Fällen, wo es um handfeste Verdachtsgründe geht, zögerlich, überaus langsam und inkompetent arbeitet, so dass jene, die nicht beteiligt waren, nach Jahren noch auf Aufklärung warten von dubiosen Machenschaften, von denen man munkelt, aber offiziell nichts weiß.

Wikileak sei staatsgefährdend. Deshalb gibt es in Österreich immer noch keine Aufdeckungen von Format. Zum Beispiel über Schüssel & Co, Grasser & Genossen etc. Dafür wird der abendländischen Gefahr der Überfremdung scharf entgegnet.

Bildung sei wichtig und notwendig, um den Anschluss nicht zu verpassen. Den wirklichen Anschluss 1938 hatten die Österreicher ja aus Unbildung geschafft. Jetzt soll einer gebildet erfolgen, für die Unternehmer, für die globalisierte Wirtschaft, für die Zukunft. Aber just die verantwortlichen Entscheider zeichnen sich durch Un- oder Halbbildung aus. Qualität ist ein Fremdwort, das man nur korrekt versteht, wenn man sich zertifiziert.

Die deutsche Integrationsdebatte sei keine, weil der Anheizer Sarrazin ein Rassist sei. Deshalb soll er, als Übung reifer Meinungsfreiheit, nicht öffentlich auftreten. Man soll ihm den Mund verbieten. Und der Kommunismus, der sich real nicht nur als inkompetent erwiesen hat, sondern auch als menschenverachtender Existenzenvernichter, sei ein erstrebenswertes Ziel. Sagt die Vertreterin der Linken, der Nachfolgepartei der SED-PDS-Vorläufer. Sie muss es wissen, sie weiß es. Nostalgie ist in. Es braucht ein Gegengewicht zum Kapitalismus. Man muss die Leute zu ihrem Glück zwingen. Das wussten Stalin und seine Epigonen. Heute soll es korrekter, besser, humaner (Sozialismus mit menschlichem Anstrich!) erfolgen. Prost, Mahlzeit!

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind unsere Freunde. Wir haben die Pflicht dankbar zu sein. Die Enthüllungen sind ein gezielter Terrorakt gegen den Weltfrieden, die pax Americana. Und die sollte auch unsere sein. Zum Ausgleich fokussieren einige auf Nordkorea, Afghanistan und Pakistan. Oder den Irak und den Iran.

Es wird auf- und abgewertet. Auf- und abgedeckt. Vergrößert und verkleinert. Ganz wie man’s braucht. Und die Medien machen mit. Es ist ja ihr Geschäft. Rauchen ist lebensgefährlich, weshalb breite, rigide Antiraucherkampagnen aufräumen mit den Übeltätern. Strenge Strafen ahnden Unverbesserliche. Es gehe um die Gesundheit. Allerdings nur hier. Weniger beim Alkohol, schon gar nicht bei den Nahrungsmitteln. Die Lebensmittelkontrollen und die Kennzeichnungsverpflichtungen lassen den gigantischen Industrien genügend Freiraum für Gängelung und Betrug. Die Kontrollen sind so mangelhaft, dass jetzt, wie beim Dioxin-Skandal, große Überraschung gespielt wird. Aber das seien Einzelfälle, es werde sofort gehandelt. Doch es wird keine strengeren Kontrollen geben, keine rigidere Kennzeichnungspflicht, nichts, was der um die Gesundheit besorgte Konsument wünscht.

Dafür wird das Beleidigen von religiösen Gefühlen strenger verfolgt und bestraft. Das gebietet die geistige Gesundheit. Und die Integration. Wer will sich mit vergifteten Futter- oder Lebensmitteln aufhalten? Oder mit dem Feinstaub? Oder mit dem Lärm? Wenn man das alles regelte, käme es zu teuer. Seien wir doch nicht kleinlich. Wir fangen klein an: bei den Rauchern und bei den terroristischen Tierschützern. Dann bei den beleidigenden Karikaturisten oder Volksverhetzern. Später dann, wenn nicht Gras darüber gewachsen ist, werden einzelne Firmen, die zu offen negativ aufgetreten sind, rangenommen. Aber nur, wenn es öffentlich geworden war. Damit das in Zukunft nicht so leicht geht, werden die Medien strenger beobachtet und kontrolliert. Man sieht ja, wohin diese Aufdeckerei führt…

Wer bei uns auf den Flughafen oder die ÖBB verweise oder gar einige Banken, lenke ab. Schüre den Neidkomplex. Die wahren Probleme seien nicht die vermuteten hohen Korruptionen, sondern die alltäglichen Ladendiebstähle. Oder die Taschendiebe in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Darum brauchen wir eine neue Polizei. Wir brauchen einfach mehr Kontrolle und Überwachung. Aber die richtige. Kapiert?