Schicksal

/ Haimo L. Handl

Was ist Schicksal? Am gegenwärtigen Schicksalsglauben auch in hoch entwickelten, aufgeklärten Gesellschaften lässt sich die Schwäche der Aufklärung ablesen: die willige Unterwerfung unter Vorbestimmung, Determinierung, göttlichem Willen oder, neutraler ausgedrückt, einer vom Menschen nicht beeinflussbaren Macht, zeichnet viele Menschen aus, die sonst vorgeben, nicht gläubig, schon gar nicht abergläubisch zu sein. Die massenweisen Bekundungen zu und über Schicksale sprechen jedoch eine andere Sprache. Die meisten Horoskopgläubigen finden sich ja auch nicht unvernünftig…

Die offensichtlichen Widersprüche werden verdrängt, geschluckt, um brav sich in’s Schicksal zu fügen oder sonst unerklärbare Ereignisse mit Sinn zu versehen, als ob sie einem höheren bzw. göttlichen Plan folgten. Die meisten modernen Menschen unterscheiden sich da nicht von den früheren Stammesgenossen, die unter noch schrecklicheren Ängsten lebten. So gesehen ist die Moderne schwach, wie die letzten Reste der Aufklärung, wie das humane Denken, weshalb es nicht verwundert, dass neben neuen Aufschwüngen von Religionen, auch dunkle Mythen als Politikersatz wieder stärker Platz greifen, grad so, als ob eine alte Blut-und-Boden-Mythologie, in Form einer modernen Faschistisierung, sich breit mache.

Das betrifft nicht nur ‘Ewiggestrige’ oder zurückgebliebene Verlierer, arme Minderheiten an den Rändern der Gesellschaften. Die Attraktion vieler rechtsextremer, faschistischer Gruppierungen, wie z. B. jetzt in Ungarn die rechtsextreme Jobbik (Die Besseren), die sich von ähnlichen Parteien durch ihr Programm unterscheidet, weniger Protestpotential darstellt, als Versuch einer extrem nationalistischen, faschistoiden, wenn nicht faschistischen Politik. Der allgemeine Rechtsruck geht einher mit einer weiteren Schwächung rationalen Denkens, vernünftig-zivilisierter Verkehrsformen. Es fehle an Werten. Das Vakuum wird gefüllt - mit alten Inhalten und Konzepten.

Als der Kärntner Landeshauptmann Haider, ein unverantwortlicher Alkohollenker, sich in den Tod fuhr, erfolgte eine massenhysterische Reaktion, die einen, der nicht der Gemeinde der Schicksalergebenen angehört, das Fürchten lehrte.

Als der polnische Präsident Lech Kaczynski und einige andere Politiker und Militärs bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kamen, erfolgte eine Trauerschockreaktion, die über verstehbare Maße hinausreicht. Der Führer der Nation war immerhin in seiner Akzeptanz und Beliebtheit auf ein Fünftel der Wählergunst gesunken, war in und außerhalb Polens umstritten; ein eitler, machtgeiler Politiker. Und jetzt? Einhellige Trauer, als ob er der Gutmensch schlechthin gewesen wäre, und Begräbnis an geschichtsträchtiger Stätte in Krakau, neben Königen und Potentaten, aber keinen Demokraten.

Interessanter ist jedoch, welche Stimmen in den in- und ausländischen Medien zum Unglück zu vernehmen sind. Eine deutsche Qualitätszeitung übernimmt für ihren Untertitel eine Aussage eines nicht genannt werden wollenden Dichters und fabuliert über Schicksal. Schon der Titel stimmt auf das Ungeheuerliche ein: ‘Eine Tragödie wie aus der Feder eines Dichters’. Die Quintessenz drückt sich in folgendem Satz aus: ‘Die halbe Staatsführung fliegt in den Nebel, um in Katyn zu fallen und das polnische Schicksal zu erfüllen.’

Der vorletzte Absatz bringt das Zitat des ungenannten Dichters: ‘Die halbe Staatsführung steigt gemeinsam in ein Flugzeug und fliegt in den Nebel. Das ist schrecklich, grotesk und urpolnisch. Sie fliegen in den Nebel, um in Katyn zu fallen und das polnische Schicksal zu erfüllen. Kein Schriftsteller hätte sich das besser ausdenken können.’

Ohne Kommentar wiederholt die Zeitung eine Mutmaßung, eine Glaubensdeutung. Und unterschreibt sie damit. Was soll daran ‘urpolnisch’ sein? Und die anmaßende, völlig inakzeptable Unterstellung, die Abordnung sei nach Katyn geflogen, UM dort zu fallen, UM das polnische Schicksal zu erfüllen! Skandalös, dieses Geschwätz, das besorgniserregend ein Ausfallen jeder Vernünftigkeit anzeigt, und das einem dunkel-mythischen Pseudodenken als Nichtdenken, als wirres Zucken, Tür und Tor öffnet.

Der Präsident und die Seinen sind also, gottergeben und schicksalspflichtbewußt, in den Tod geflogen, den Tod bei Katyn, um, wie die Tausenden von den Sowjets gemordeten polnischen Offiziere, die ja auch nur ihr Schicksal erfüllten, zu fallen. Waren die Sowjets also Schicksalerfüller? Dann waren das die Nazis wohl auch. Und jetzt folgten der Präsident und andere, nicht nur, um zu fallen, sondern um das Schicksal zu erfüllen. Heilige, im Dienste der Nation und der Vorsehung, der höheren Bestimmung, des Schicksals.

Es wird einem fast übel vor solchem Absud von Schicksalsglauben. Vor allem wenn solches Nichtdenken, solches Gebräu verstörter, verworrener Gefühle politische Einstellungen und Handlungen motiviert, legitimiert, sinnstiftend deckt. Was kommt da auf uns zu?