Ratgeber

/ Haimo L. Handl

Früher, als nur wenige des Schreibens mächtig waren, erledigten professionelle Briefschreiber das Schreibgeschäft für Eingaben oder Petitionen, für Geschäftsakte oder wichtiges Privates. Später, als die Schulbildung in gewissem Masse auch die unteren Schichten lese- und schreibfähig machte, florierte diese Dienstleistung in veränderter Form von Schablonen, Vorlagen und Ratgebern für’s Briefschreiben, die stereotype Standardsätze, ja ganze Absätze, lieferten, an denen sich die Sprachohnmächtigen nicht nur orientierten, sondern sie schier bewusstlos übernahmen.

Ähnlich wie in der staatlichen Bürokratie, wo das Amtsdeutsch wegen seiner verpflichtenden Anforderungen zu einem erstarrten, holprigen, knöchernen Herrschaftsinstrument wurde, das in seiner Sprachvergewaltigung die Anmassung der Herrschaft auch ‘geistig’ spüren liess (und immer noch lässt, trotz einiger Reformen), schliffen die inflationär übernommenen Formen und Frasen, quasi als Schrift gewordene Redewendungen eine Sprache und einen Pseudostil ein, der das Fehlen von eigenem Denken, eigener Sprache dokumentiert, aber gar nicht überdecken musste, weil die brave Übernahme des Standardisierten, das alles vereinfachte, allgemein begrüsst wurde.

Seit einigen Jahren sind Ratgeber aller Art wieder beliebt und en vogue. Es gibt kein Gebiet, in welchem für Unbedarfte, Bedürftige, die professionellen Betreuer nicht mit Hilfe zur Hand sind. Entsprechend dem Bildungsniedergang, der das Verfehlen der Persönlichkeitsbildung täglich drastisch unter Beweis stellt, werden die eigentlich Unmündigen, die Laien, mit Standardformeln, Floskeln, Vorgaben, Schablonen, Klischees gefüttert, um z. B. korrekt Komplimente machen zu können, um die rechte Antwort auf die falsche Frage zu leisten, um im Bewerbungsgespräch zu brillieren, um in einer Talk-Show nicht stumm zu bleiben usw. Es ist wie in der Technik: Der Laie muss nichts verstehen, es genügt das Training, welche Knöpfe zu drücken sind.

In der Kultur hat sich die Abschaffung der Könner und Kenner bereits fest etabliert und gewinnt täglich an Terrain. Komponieren? Den souveränen Gebrauch eines Musikinstruments erlernen? Das gilt nur noch für eine kleine Elite. Das gros gibt sich zufrieden mit DJs, die die Wiedergabe etwas manipulieren. Oder man singt zu Musik- und Textvorlagen, übt sich im beliebten Karaoke, das sich als Krönung in die playback-culture eingefügt hat. Der Triumph der Pseudokultur durch Nachsinger, Nachrichter, Nachsprecher, Nachzügler, Mitläufer.

Ratgeber ist nicht gleich Ratgeber. Arbeiten, die helfen Wissen zu etablieren und zu reifen, sind unverzichtbar. Aber jene Elaborate, die als Substitute dienen, welche die leicht austauschbare, klischierte Stereotypenkultur füttern, sind kein Bildungsbeitrag, nicht einmal einer zur Ausbildung.

Anstatt 700 Redeformen zu liefern wäre es besser, Menschen denk- und sprechfähiger zu machen. Auch im (Fremd)Sprachenunterricht geben sich allzu viele mit Basiskenntnissen zufrieden. Statt hunderte Stehsätze einzuüben wäre es auch vernünftiger, die Sprache tiefer und breiter zu erlernen und zu üben.

Die Ratgeber-Hausse wird auch von einer der Kochbücher begleitet. Es scheint, mit dem Überhandnehmen des instant cooking werden zum Ausgleich und zur Selbsttäuschung mehr Kochbücher verlegt als je zuvor. Tausende von Fernsehköchen zelebrieren ihre Kochevents als infotainment performances, während die Werbung von den Vorzügen der Packerlgerichte schwärmt. Frau hat keine Zeit, Mann sowieso nicht, deshalb schaut man wenigstens Kochen im Fernsehen, virtuelle Übung neben dem Instant-Frass, den man mit ein paar aufgetauten Gemüsefrüchten garniert. Kleine, vermeintliche Chefküche für Möchtegerne.

Die Komplexität der modernen Alltagswelt verlangt nach immer neuen Schulungen: wie bürste ich meine Zähne korrekt, wie ziehe ich meine Unterhose richtig an, wie stecke ich den Tampon gekonnt in die Spalte, wie halte ich Schuppen fern, wie vermeide ich Mundgeruch, was ist Patting, und ist das noch modern, wie gewinne ich im Lotto, wie mache ich Bekanntschaften, wie angle ich mir einen Millionär, wie verübe ich das perfekte Verbrechen, wie spare ich Steuern, wie komm ich zur Frühpension, welche Ausreden werden von Chefs akzeptiert usw. usf.

Zwar noch nicht in hausbackenen Volkshochschulen, aber in privaten Coachingzentren kann man schon lernen, wie man multikulturell Sexualität ‘macht’: ficken auf moslemisch, indisch oder japanisch. Worauf ist zu achten, was ist zu vermeiden. Die Frau und der Mann von Welt wollen sich zu bewegen wissen. Schnellkurse für interkulturelle Kompetenz. Wir sind ja so multikulti! (Allerdings erleben einige arge Überraschungen, wenn sie unvorsichtig ‘anbaggern’… doch das schafft nur noch mehr Bedarf für weitere Schulung.)

Die Ratgeberkultur boomt. Fragt sich, wie lange noch, nachdem trotz Expertisen Abertausender Ratgeber für Manager die Fehlgeschäfte zunahmen und wohl nicht abnehmen werden. Es werden vorderhand semantische Lösungen vorgenommen: man tauft das Kind um. Damit Laien auch das erlernen können, gibt es in Kürze neue Ratgeber.