Kommissarsbildung

/ Haimo L. Handl

Es sind nicht primär die Namen, welche die Kommissare und ihre Kommissionen der EU den Beiklang einer EUdSSR geben, es ist der ZK-Geist, der eine überfällige Demokratisierung der Union verhindert, die Bürger mit einem Scheinparlament abspeist und in ungeahnter, zynischer Bürokratie die Nationalinteressen entsprechend den Machtgefügen einbringt und verwaltet.

Es ist auch kein Zufall, dass diese moderne Kommissionspolitik einen riesigen Korruptionssumpf begünstigt, trotz allen lauten Antikorruptionsmassnahmen, die aber eher medienwirksam bei den Kleinen greifen, während der grosse Betrug als Systemteil gar nicht so genannt wird.

Jetzt schlägt die EU wieder Alarm. Diesmal warnt der Slowake Ján Figel’, Jahrgang 1960, seit 2004 in der Union für Bildung zuständig (Commissioner for Education, Training, Culture and Youth), davor, dass die Lehrer in einigen Unionsländern viel zu alt seien und deshalb der Unterricht leide. Er, der nach fünfjähriger Ingenieursausbildung zum Dozenten für Aussenpolitik werden konnte, er, der stolz in seiner Vita unter ‘Education’ zwei einsemestrige Hochschullehrgänge in den USA und Belgien angibt, wo der christlich konservative Ingenieur endlich Absegnungen für seine Westtauglichkeit erfahren durfte, der auch wegen seiner herausragenden politischen Leistungen mehrere Ehrendoktortitel einheimste, fordert nun sozusagen eine Entsorgung der Alten. Die Alten sind unproduktiv, altmodisch. Sie halten den Jugendlichen die zustehende moderne Bildung vor. Sie werden damit schuldig an der Verhinderung des Fortschritts.

Man stelle sich vor, in Deutschland, wo ernsthaft diskutiert wird, die Alten noch länger arbeiten zu lassen, obwohl es nicht genügend Arbeitsplätze gibt, fordert die EU frech, sie abzubauen und endlich Junge ran zu lassen. So einfach ist das in den Augen der Bornierten: jung = gut, alt = schlecht. Hinweg damit!

Damit wird ohne geprüfte Belege ein Kausalzusammenhang von Alter und Leistung, nämlich negativer, hergestellt. Das mag im Hochleistungssport zutreffen, wo man mit 30 schon zu alt ist und ausrangiert wird. Aber in der Bildung? im Umkehrschluss werden zugleich Jugend und Hochleistung bzw. hohe Qualität mit den sogenannt ‘modernen’ Lehrmethoden gekoppelt. Wäre dem so, hätte es zu den katastrofalen Fehlhandlungen der Experten im Wirtschaftsbereich, teuerst unterstützt von Tausenden von spezialisierten Beratern, nicht kommen dürfen. Es waren und sind gerade die jugendlichen, dynamischen, gierigen, leistungstarken Egoisten und Draufgänger, die uns fast an den Rand eines Krieges gebracht und die Tausende von Existenzen vernichtet haben. Dafür brauchten sie nicht einmal ein lebenslanges Lernen. Das haben sie nach wenigen Semestern geschafft!

Es werden alle kulturellen Eigenheiten negiert, wie ja das ganze Unionsbildungskonzept auf eine Gleichschaltung aus ist und sich auf die Zulieferung funktionierender Menschen ausrichtet, auf Spezialisten, die den Fortschritt der Union in der globalisierten Welt verbürgen sollen. Einen Fortschritt, wie ihn die Unternehmer, die Machtpolitiker sehen. Nur, was hat der mit Kultur und Bildung, mit Humanität zu tun?

Die Mittel, die dabei eingesetzt werden, sind alles andere als wissenschaftlich bestätigt. Sie sind umstritten und politisch motiviert, nicht jedoch kulturell. Denn für die kulturelle Motivation müsste ein entsprechender Bildungsbegriff existieren. Der gängige jedoch ist einer, der primär den Wirtschaftsinteressen entspricht, der hohen Spezialisierung und Partikularisierung. Nicht zuletzt PISA und andere höchst fragwürdige Messinstrumente messen nicht nur, sondern werden als vordergründige Keulen im politischen Bildungswettstreit eingesetzt, um die Unionsmitgliedsländer unter die Knute zu bringen. Alles im Namen von Fortschritt und moderner Bildung.

Stolz wird auf EQF (European Qualifications Framework for Lifelong Learning) verwiesen. Dazu heisst es im Kommissionsbericht ‘Key Data on Education in Europe 2009’: ‘The EQF represents an important paradigm shift in European education: it is based on approach which takes into account learning outcomes rather than the resources which are put into learning. In other words, it is a qualifications framework based on what learners are actually able to do at the end of a course of education, rather than where the learning took place and how long it took.’ Und dann wird das Wissensmanagement als weitere Neuerung herausgehoben, obwohl gerade Knowledge Management das Gegenteil von Bildung darstellt, weil es nur eine spezifische Ressourcenverwaltung ist, die zwar gewisse Innovationen schneller ermöglicht, aber nichts mit Personen und ihren Persönlichkeiten sowie Bildung zu tun hat.

Aus all dem drückt sich das Diktat der Profiteure, der Verwalter aus: die negative Utopie der total verwalteten Welt, wie sie von Aufmerksamen während und nach dem Zweiten Weltkrieg visioniert worden war, schickt sich an, unumstösslich zu werden. Ihre primären Agenten sind die Kommissäre und viele ‘Bildungsinstitutionen’, die im Verbund mit der OECD und anderen übernationalen Einrichtungen die gleichgeschaltete Vereinheitlichung im Sinne des profitablen Systems vorantreiben und erzwingen.

Unser Bildungssystem bedarf einer Änderung. Sicher. Aber was die Union als Lösung anbietet, fördert die totale Verwaltung und widerspricht frühen emanzipatorischen und aufklärerischen Erwartungen. Die Bildungspolitik der Union ist zu einem Instrument der Zu- und Abrichtung verkommen, nicht der Menschenbildung.

Wer sich nicht mit den Kommissionsberichten zufrieden geben will oder stereotypen Medienberichten nach dem PISA-Sinn und dergleichen, lese vielleicht einmal eine fundierte Kritik, z. B.: Richard Münch: Globale Eliten, lokale Autoritäten. Bildung und Wissenschaft unter dem Regime von PISA, McKinsey & Co. Frankfurt/M., 2009 (edition suhrkamp 2560)

Wer zurückschauen will um zu ermessen, was wir nicht erreicht haben, um dann sensibler, wacher vorauszuschauen, möge Blicke in die Schriften von Max Horkheimer werfen, z. B. die Aufsatzsammlung ‘Gesellschaft im Übergang’ oder Theodor W. Adorno, z. B. ‘Erziehung zur Mündigkeit’.