Sparsamkeitsverschwendung

/ Haimo L. Handl

In Zeiten der Wirtschaftskrise, der sogenannten ‘Finanzkrise’, in der weltweit Vermögen und Arbeit vernichtet werden, bedauern Politiker und Unternehmer das Versagen des Marktes einerseits und fordern zu mehr Konsum andererseits. Es ist wie während grassierender Inflation: Geld verliert rasend schnell an Wert, aber man soll noch mehr konsumieren, um den Kreislauf nicht zu unterbrechen.

Konsumverzicht und Sparen sind plötzlich asoziale, egoistische Haltungen, die bald geahndet werden. Der Staat pumpt nur Geld ins System, wenn es ausgegeben, konsumiert wird. Wehe, die Autos werden nicht gekauft! Was nützten die Milliarden, die die US-Regierung für ein paar Monate Galgenfrist jenen Firmen in den Rachen wirft, die bislang unverantwortlich produziert haben? Wenn trotz der ‘Stützungen’ die Menschen nicht konsumieren, wie erwartet wird? Und das im Musterland der freien Marktwirtschaft, wo die Freiheit jetzt der Staat mit Staatsgeld garantieren muss, womit er das ganze System Lügen straft, auf dem der Mythos aufbaut und die eigentliche Ausbeutung kaschiert worden ist. Werden Konsumverpflichtungspläne umgesetzt? Wird es, ähnlich dem Heimatministerium (patriotic act) , ein Ministerium für Konsumüberwachung geben?

Nein, so simpel natürlich nicht. Aber die Lobpreisungen für gesteigerte Verschwendung haben ihre negativen Begleiteffekte. Sie zeigen andererseits unfreiwillig die kritischen Bruchstellen des Systems auf: ein Marktsystem, das als positiven Wert nur die Steigerung, das Wachstum, kennt, kann nichts schätzen was ist, sondern nur, was wird. Erhalten, Bewahren, Sichern, Verfestigen, können keine vernünftigen Ziele sein. Denn Sparen und Genügsamkeit sind Untugenden. Es geht um gesteuerte Verschwendung. Nur wenn Leute dauernd konsumieren, gewinnt das System.

Dieser Dauerkonsum ist nur möglich, indem Bedürfnisse geschaffen werden, die ohne reichlichem Zutun der Bedürfnisweckung und -Steuerung nicht existierten, zumindest nicht im gesellschaftlich relevanten Ausmass. Die Lebenslüge wird von Klein an trainiert: sei fleissig, sparsam etc., aber nur im Kleinen. Konsumiere, konsumiere, aber nenn es nicht Verschwendung. Doch es geht um Verschwendung.

Das wirkte sich in den Ressourcen aus, im Klima, in der Raumnutzung. In allem. Stellen Sie sich vor, viele, nicht nur einzelne, reduzierten ihren Konsum und kauften nicht mehr, was sie eigentlich nicht wirklich wollen bzw. auch nicht brauchen. Es müssten Fabriken geschlossen werden, es gäbe weniger Verkehr, trotz künstlicher Verkehrserhöhung durch marktgerechtes ‘just in time’ Lagerhalten. Die allgegenwärtige unbegrenzte Verfügbarkeit wäre nicht mehr dringend notwendig für alles, sondern nur für Wichtiges usw.

Das kostete Arbeitsstellen. Jeder sähe das ein, obwohl die Verschwendungswirtschaft auch nicht allen Jobs bot. Aber dort nannte man andere Gründe: private. Da waren die Arbeitslosen schuld: zu wenig ausgebildet, zu wenig mobil, zu wenig anpassungsfähig.

Die Unternehmer und Financiers können sich nicht anpassen. Das wissen die Regierungen. Denn auch sie können und wollen sich nicht anpassen. Also nimmt man Geld jener Trottel, die zu unterst im System sind und verschiebt es nach oben. Umverteilung! Gleichzeitig laufen massenweise Informations- und Bildungsprogramme, die systemvernünftigen Konsum, also Verschwendung, lehren. Die populäre Unterhaltungsindustrie steigert ihre Filterungs- und Indoktrinationsarbeit noch weiter, um das Verschwendungsprogramm als einzig Vernünftiges glaubhaft zu machen. Jedenfalls als ‘normal’ und allumfassend.

Zum Ausgleich gibt es kleine Felder der Reduktion. Aus sozialen und gesundheitlichen Gründen. So darf man nicht mehr öffentlich rauchen. So soll man seinen Abfall trennen. Oder weniger Verpackung verlangen. Oder weniger Pillen schlucken und weniger oft krank werden und zum Arzt rennen.

Alles andere soll man aber, wie früher, so oft und so intensiv wie möglich: konsumieren, Schulden machen, konsumieren, arbeiten um zu konsumieren, konsumieren.

Würde die Verschwendung aufgegeben, bräche das System sofort zusammen. Ein Kriegsgrund. Die Kriege werden zwar jetzt schon geführt. Aber der sofortige wäre unvergleichlich härter und in den ‘eigenen Landen’ spürbar. Das gilt es noch zu vermeiden.

In naher Zukunft könnte es also sein, dass der Sparer, der Konsumverzichter, als Asozialer gebrandmarkt wird. Als jemand, der auf Kosten anderer lebt. Wie die Arbeitslosen, die man als Schmarotzer ächtet und verfolgt. Es könnte sein, dass man nicht nur ein Leumundszeugnis braucht, sondern einen Konsumausweis, der belegt, wie viel konsumiert wurde in Erfüllung der sozialen Norm. Als Systembeitrag sozusagen.

Wir haben ja schon die Zwangsmitgliedschaften für Kammern. Die Zwangsgebühren für den Rundfunk. Daher ist eine Zwangskonsumordnung auch nicht utopisch oder unrealistisch. Die Mehrheiten lieben den Zwang. Sie nennen es ‘soziale Verantwortung’. Schauen Sie doch mal, wie die Kammern ihre Zwangsmitgliedsschaft definieren! Wie der Rundfunk die Zwangsvergebührung nennt! Das ist frühes Einüben in Newspeak und Eufemismus. Das kann leicht ausgebaut werden. (Millionen hatten vor gar nicht allzu langer Zeit ‘organisieren’ und ‘Sonderbehandlung’ verstanden…)

Wenn nicht direkt, über Gesetze und Verordnungen, so indirekt, über den ‘freien Markt’ mit staatlicher Unterstützung, läuft das Programm schon. Die Massen dürfen nicht drauf kommen, dürfen nicht kapieren, dass zwischen dem Kapitalismus, wie er ‘glänzt’ und dem Schreckbild des Kommunismus, wie es bekannt ist, es noch andere Wege gäbe für die gesellschaftliche Organisation.

Gerade wegen dieser schieren Unmöglichkeit einer alternativen Entwicklung ist der Schuldanteil, der Verrat der sich Kommunisten genannt habenden Realkommunisten, die nur Linksfaschisten waren, besonders hoch anzurechnen: sie liefern noch auf lange Zeit den Kapitalisten Munition für deren Vernünftigkeit, nachdem sie weltweit ihr Versagen nicht nur theoretisch, sondern praktisch unter Beweis gestellt haben. Dort wurde in einer vordergründigen ‘Planwirtschaft’ (was für ein dummer Begriff, als ob die anderen Wirtschaften ungeplante hätten sein können!) ebenfalls eine Verschwendung praktiziert, die von aussen etwas anders aussah, als die im Kapitalismus, im Innern aber wütete. Nur, dass dort die Menschen noch schneller ‘geopfert’, vernichtet wurden, wie heute bei uns das Geld, das Kapital.

Aldous Huxley hat gemeint, dass seine negative Utopie ‘Schöne neue Welt’ eher Realität werden wird, als Orwells ‘1984’. George Orwell hatte die Diktaturen Hitlers und Stalins vor Augen. Huxley die Verfügung und Kontrolle über die Menschen im Kapitalismus. Beide sahen die Nichtexistenz der Freiheit, wie wir sie theoretisch noch verstehen. Aber im Konsummodell werden die Menschen noch massenhaft gebraucht. Sie werden, wie schöne Tiere, ‘gehalten’. Im realkommunistischen, sozialistischen Modell werden sie in einem allumfassenden Polizeistaat durch Angst niedergehalten und systematisch verfolgt, bestraft, getötet (liquidiert).

Unsere freie Marktwirtschaftsgesellschaft hat seit einigen Jahren mittels einer gezielten Terrorhysterie systematisch Bürgerrechte abgebaut und die staatliche Überwachung und Kontrolle ausgebaut. Eine Annäherung der beiden Modelle findet statt und exekutiert mittels und in der ‘Finanzkrise’ einen weiteren Schritt der Unterwerfung. Es ist nicht sicher, ob Huxleys Annahme recht behält.