Opportunistische Wertigkeit

/ Haimo L. Handl

Das Naziregime und der Holocaust werden einhellig als böse, verbrecherisch, kriminell usw. bewertet. Die Welt, was immer das sein soll (je nach ideologischem Bedarf!), ist sich einig. Es gibt aber eine Unwertehierarchie, die dem gleichzeitig bemühten Gleichheitswertdenken krass widerspricht: die Opfer werden unterschieden, gewogen und bewertet. Ironischer- oder zynischerweise nach ähnlichen Kriterien, wie die Täter es zuvor taten: dieses Opfer wiegt mehr, weil …

Ähnliches gilt für das sogenannt Unvergleichliche. Zwar wird verglichen, weil man sonst nicht kommunizieren kann. Das Unvergleichliche käme dem Absoluten gleich (diese Aussage selbst ist schon ein Widerspruch), das uns nur annähernd beschreib- und vorstellbar ist. Das Absolute gilt nur über Chiffren: Gott ist das üblichste.

Im Negativen scheint es einfacher zu sein. Neben den Teufeln, die zuvor Lichtbringer waren, sind es die Nazis. Da fallen, gemäss der gehätschelten, teuer propagierten Unwertehierarchie, die anderen Bösen deutlich ab, manche soweit, dass sie eigentlich nicht mehr böse sind, wenn man sie mit dem wirklich Bösen, dem Unvergleichlichen, vergleicht. Deshalb stört es wenig, wenn Väterchen Stalin noch ein Väterchen ist und der grosse Führer Mao immer noch in Millionen Bildern von Wänden lächelt.

Die verfestigte opportune Unwertehierarchie erlaubt auch in der Gegenwart Verbrechen, die durch den fixierten, eingeengten Blick nicht als solche wahrgenommen werden. Denn nicht umfassende Bildung und Wachheit war angestrebt und erreicht worden, sondern eine gewünschte Tendenz und Ausrichtung. Extreme Relativierung ist nur in einem Bereich verboten, in anderen nicht nur geduldet sondern erwünscht oder gefordert.

Andy Warhol wird nicht kritisiert, dass er Mao porträtierte. Kunstkenner freuen sich darüber. Hätte Wahrhol den Fehler gemacht Hitler als Sujet zu verwenden, ja dann! Aber so? Nix da. Kunst ist Kunscht und bringt Geld. Und die Kunstkenner, vor allem die Reichen, die die eigentlichen ‘Kenner’ sind, scheren sich einen Dreck um Ideologie, solange ihr Reichtum wächst, ihre Anerkenntnis sich steigert, ihr Ruhm. Und der wächst, durch Prostituierte der Kulturwelt, Finanzierer, Banker, Macher, Betrüger, Ausbeuter, Schleimer, Mafiosi und was da alles nicht nur die Wirtschaftswelt, sondern auch die Kulturwelt am Leben erhält. Denn die höchste Kunst ist die des höchsten Geschäfts.

Deshalb warnen auch Spezialisten, dass der Kunstmarkt, und damit unsere so wichtige Kultur, Schaden leiden könnte durch die Finanzkrise. Noch wird den Auktionshäusern und Museen nicht soviel Geld reingeschoben wie den Finanztätern. Noch bleibt die Umverteilung von unten nach oben in gewohnten Bahnen: die Budgets für die Ankäufe der smart extrem hoch lizitierten Kunstwerke wurde noch nicht extravagant erhöht. Aber das kommt noch. Wo käme man hin, wenn man sich keinen Hirst oder Koons mehr leisten könnte?

Die Abzockerei selbst ist zur Performancekunst geworden. Während einige Kritiker des kriminellen Wirtschaftslebens nachzuweisen versuchen, dass ein Schlechtteil der ‘Krise’ auf die unrealistischen Blasenwerte der Luftgeschäfte zurückzuführen sei, die aber in realen Profiten die Banker und Manager bereicherte, ist diese nicht überraschende Erkenntnis noch nicht bei den Kulturtheoretikern angelangt. Dort gelten die Werte der Kunstpreisbewertungen noch nicht als Blasen. Hier überdeckt das real verschobene Geld den Betrug. Hier feiert die Obszönität tägliche Triumphe und gibt den Stoff her für die Massenmedien, die die geilen Stoffe für die Depravierten liefern.

Schon wird überlegt, wie man vom Steuervolk mehr Beiträge zur Rettung der Wirtschaft und der Kunst holen, abpressen könnte. Wenn wir nicht mehr verschwenden, verarmen wir. Wenn wir nicht die Autoindustrie stützen, verlieren Abertausende ihre Arbeit. Wenn wir nicht Atomkraftwerke ausbauen, erfrieren wir. Wenn wir nicht Spitzengehälter und Prämien zahlen, verkommt das Geschäft. Man kann es kürzer fassen: Wenn wir nicht Schutzgelder zahlen, werden wir belangt. Anfangs kaum merklich, später brachial. Vielerorts wird das schon praktiziert in unterschiedlichen Graden und Stärken. Hin bis zum Krieg. Krieg als ultima ratio der Politik.

Soweit wollen die Künstler, auch die hurös angepassten Propagandisten (die früher Hitler, Stalin oder Mao besungen haben oder hätten), heute noch nicht gehen. Die eigentliche Drecksarbeit machen andere. Den Spitzen des Kunstbetriebs reicht das Geschäft. Und der Abklatsch in den Medien als Unterfutter ihrer Kulturtätigkeit. Hier zeigt sich eine Einigkeit von Hochkunst mit Niederkunst, elitären Künstlern und Popstarlets.

Dieser Kunst- und Kulturpolitik kommt die Profitpolitik der Ausbeuterei zugute. Sie zeigt sich auch im borniert engen Bestsellerblick. Ähnlich wie im Sport gilt nur die Spitze: wie bei der Pyramide ist der Gipfel klein und bietet nur einer winzigen Elite den Platz an der Sonne. Der wird umkämpft. Die Untermenschen dürfen, nein, müssen die breite Basis bilden. Und sie bilden sie. In der Wirtschaft, in der Kultur. Und damit in der Politik.