Starmania Omnibus

/ Haimo L. Handl

Früher hiess der Autobus Omnibus. Ein Fahrzeug für alle. Noch lange vor den Kraftfahrzeugen wurden Mehrpersonenkutschen so genannt. Später wurde, entsprechend der favorisierten AKÜSPA (Abkürzungssprache) von Bus gesprochen, wenn nicht im Deutschen das Akronym KOM (Kraftomnibus) verwendet wurde. Gegenwärtig, dem Trend zu Pleonasmen und neuen, wohlklingenden, aber nichts, wenig und falsch sagenden Wortverbindungen folgend, sprechen viele bevorzugt von Shuttle Bus. Bus reicht nicht mehr und Omnibus ist ausser Gebrauch gekommen.

Shuttle ist die englische Bezeichnung für das Weberschiffchen, das hin und her bewegt (geschossen) wird. Von da leitet sich z.B. die Wortverbindung shuttle train für Pendlerzug her. Ein Shuttledienst ist eine Einrichtung, die meist einem Taktfahrplan gehorcht und keine Einzel- oder Sonderfahrten meint.

Heute hörte ich im ORF-Hörfunk die Meldung, dass die Teilnehmer für das Begräbnis von Helmut Zilk mit Shuttle-Bussen zum Friedhof gebracht werden. Nicht mit Bussen oder Taxen. Un- oder halbgebildete Redakteure meinen vermutlich, sie werteten ihre verarmte deutsche Sprache auf mit diesem pseudofremdwortartlichen Begriff.

Man könnte sagen, wir wissen, was sie meinen, wir verstehen. Also, was soll’s? Viele gewöhnen sich aber nicht nur Ungenauigkeiten an, sondern verflachen auch das Verstehen und Verständnis. Weil sie meinen, alle verstünden eh. Aber was eigentlich?

Mit einem Ausdruck aus der Pathologie wird positiv geworben für vermeintliche Kreativität und Kulturleistung: Starmania. Eine englische Wortverbindung, die zudem einen ursprünglich lateinischen Begriff nutzt. Star steht für Stern. Etwas Leuchtendes. Das brauchen die Menschen seit je (die heiligen drei Könige folgten dem Star, gewisse menschliche Leuchtkörper werden Stars, kleinere Starlets genannt, und ausgezeichnete Militaristen tragen viele Stars usw.). Mania oder Manie ist die Bezeichnung für eine Krankheit, nämlich eine Wahnidee, Raserei oder Besessenheit. In unserer Suchtkultur mag das auf eine Mehrheit zutreffen. Aber meist nicht in der Verbindung mit Stars oder dem Star. Hier wird eine Haltung, eine Kulturübung und ein Menschentypus gekennzeichnet, die im Alltag NICHT als krank hingestellt werden möchten: als manisch, rasend besessen nach Ruhm und Starlight. Die Manias kreischen nicht nur, sondern bemühen sich, Träume zu verwirklichen. Da eine strenge Auswahl herrscht, fallen viele vom Himmel, verglühen wie Sternschnuppen und werden depressiv. Das ist die Kehrseite. Sie passt zum häufig antreffenden Krankheitsbild der Manisch-Depressiven. Depression gilt als unchic. Sie wird immer noch tabuisiert. Manisch gilt als chic, solange es Starlight bringt. Das ist die Verlogenheit der einseitigen Orientierung auf etwas, das auch eine dunkle Kehrseite hat. Die fällt aber den starmanischen Wortverwendern nicht auf.

In einer Gesellschaft, wo Produkte nicht mehr als das offeriert und beworben werden, was sie sind oder sein sollen, sondern immer als oder mit ‘mehr’ (mehr als eine Krawatte, mehr als ein Waschmittel, mehr als ein Tampon etc.), lernt man, dass das Eigentliche nicht genug ist. Es darf nicht ein Park sein, es muss ein Erlebnispark sein. Es darf nicht ein Brot oder Gebäck sein, es muss aussergewöhnliches Extraprodukt sein, obwohl es ordinär alltäglich und gewöhnlich ist (und tonnenweise ‘entsorgt’ wird).

Im Politischen gab und gibt es diese Haltung in allen Lagern. Die Faschisten wurden berühmt mir ihrer maskierenden Eufemistensprache (organisieren für stehlen, sonderbehandeln für foltern und töten etc.). Die Kommunisten verstanden es, in ihrer Newspeak die elementaren Begriffe von Freiheit, Würde und Menschlichkeit umzudrehen. Der Dauergebrauch von Pleonasmen (‘Volksdemokratie’) stumpfte ab und verlangte nach immer neuen Steigerungen und abstrusen Verbindungen.

Heute, in der Zuspitzung der Kapitalismuskrise, regiert eine Newspeak, die an die früheren Diktaturen erinnert oder gemahnt: Krieg ist Frieden und Sklaverei Freiheit. Und Starmania Kreativität im Erlebnispark. Folterungen sind strenge Verhöre, ganz ähnlich wie damals bei den Nazis und Faschisten in Spanien oder Italien oder den nachzaristischen, kommunistischen Schergen in der UdSSR.

Humankapital schreckt niemanden. Dieser Terminus ist noch nicht politisch inkorrekt. Obwohl die Geschichte vom Menschenmaterial, das gebraucht und verbraucht wird, alt ist. Lange vor den Nazis oder den GULAG-Betreibern. Man hat es vergessen. Würde man sich von der Übersetzung des Terminus human capital einen Begriff machen, man scheute ihn oder gäbe andernfalls zynisch zu erkennen, dass man Ausbeuter, Scherge, Vernichter ist.

Das müsste besonders jetzt einleuchten, wo die Stars der Börsenmanegen bewiesen haben, wie kriminell sie sind, nicht nur persönlich, sondern systematisch. Sie vergeuden nicht nur Geld, sondern vernichten auch Menschenmaterial, human capital. Und spekulieren mit dem Tod. Eine neue Kriegsform in Friedenszeiten. Friedenskriege als humane Interventionen.

Das formulierte schon Karl Kraus überaus scharf, aber der wird von den Starlets nicht gelesen. Der ist zu alt. Und selbsthassender, jüdischer Antisemit dazu. Typischer Österreicher. Da warten viele auf eine lange Nacht der Wissenschaft oder Literatur oder sonst einen Monsterzirkus, um Kultur en masse konsumieren zu können, weil nur im breit inszenierten event, wie im riesigen Stadion, in der Gladiatorenlandschaft, der Mehrwert sich einzustellen scheint. Starmania Omnibus.