Wahltag sei Zahltag

/ Haimo L. Handl

Der Titel dieser Kolumne lässt sich mehrdeutig lesen: einmal als Konjunktiv, als Ausdruck einer Meinung, dass der Wahltag Zahltag sei. Ein anderes Mal als Imperativ, er solle doch Zahltag sein. Eindeutig wäre die Aussage: Wahltag ist Zahltag. Dann wäre aber die Unhaltbarkeit deutlich, weil fast jeder weiss, dass der Wahltag kein Zahltag ist. Ja oder Nein?

Es kommt darauf an, von welcher Position aus man denkt bzw. hinsichtlich wessen. Jemand könnte meinen, der Souverän ‘bezahle’ am Wahltag mit seiner Wahlentscheidung sozusagen jene, die er wählt. Oder die Stimmabgabe wirke sich wie ein Zahltag aus, weil sich dann konkret zeigt, was gilt. Doch wer zahlt schlussendlich wem was? Die Wahlwerber zahlen? Mit dem Geld der Wählenden. Die Wähler zahlen heim. Oder drauf. Gibt’s ein Auszahlen vor dem Einzahlen?

Je gleicher in der Gleichheitsgesellschaft die Parteien und ihre Mitglieder bzw. aktiven Vertreter, desto wichtiger die äusseren Unterschiede, die Verpackungen. Wie in der Wirtschaft. Man muss Distinktionen anzeigen, zumindest äusserlich, ‘künstlich’, wo Produkte sich eigentlich nicht unterscheiden. Wie mit den Marken. Die Konsumenten lieben Marken. Die geben Sicherheit. Auch wenn Fabriken nur ein und dasselbe Produkt liefern, pseudo-konkurrieren dann Firmen mit denselben Waren und Ketten mit unterschiedlichen Namen, als ob es um Eigenes, Unterschiedliches ginge. Das ist die Kunst des branding und der Pflege von CI (Corporate Identity) mit modernem CD (Corporate Design). So lassen sich auch faule Äpfel als Birnen und Orangen verkaufen.

Eine Wahl setzt voraus, dass zwischen Unterschiedlichem frei gewählt werden kann. Je geringer die Unterschiede, je schwächer die Eigenheiten des zur Wahl Stehenden, desto dünner die Wahlfreiheit, desto dürftiger die Wahlmöglichkeit, desto unfreier die Wahl.

Nach aussen zeigen sich Unterschiede. So beklagen schon viele die Strapaz der grossen Wahl, weil plötzlich so viele Wahlwerber auftreten. Das sei unübersichtlich. Wie einfach war es damals, als zwei Grosse und ein Kleiner das Feld bestimmten. Wie einfach und gesichert war es bei den Realkommunisten, wo es nur eine Einheitspartei gab und die Partei dem Wähler die Qual der Wahl abnahm! Bei den Nachfolgern wird die wieder restauriert, bei uns in Europa wird ein anderer Weg eingeschlagen. (Dieser Satz besagt, dass Russland, das mächtigste Nachfolgeland des Sowjetimperiums, nicht in Europa sei. Es ist teilweise in Europa, aber es soll ironisch-sarkastisch mitausgedrückt werden, wessen sie die Russen erfolgreich bemühen: nicht Europa zu sein. Auf der anderen Seite sind viele Mitgliedsländer der EU so organisiert, dass sie eigentlich nicht (mehr) den ‘europäischen Werten’ entsprechen, obwohl jeder die Debatte vermeidet, wer mit welchem Recht in der Union ist usw. usf. - aber das führte jetzt hier zu weit.)

Jedenfalls gibt es bei uns Wahlen, sogar dort, wo nur ein (!) Kandidat zur Wahl steht, also eigentlich gar keine Wahlmöglichkeit besteht, sondern nur die Möglichkeit der Annahme. Oder des Fernbleibens. Des Nichtwählens. Wenn also die eigentliche Nichtwahl, sondern die Bestätigungsmöglichkeit schon als Wahl anerkannt wird, lässt das weite und tiefe Rückschlüsse auf das Wert- und Rechtsverständnis zu. Der Sprache geht - für gewöhnlich - Denken voraus. Es besteht ein wechselnder Zusammenhang. Über Dauer beeinflussen Sprache und Bilder als Vorstellungen das Denken. Deshalb fällt es den meisten nicht auf, dass eine Wahl manchmal, auch bei uns, keine Wahl sein kann bzw. oft nur eine kleine, schwache ist.

Damit dies nicht zu Verwirrungen führt, wird ein Wahlkampf geführt, ein Wettbewerb. Der ist meist lustiger als die Inszenierungen à la ‘Wetten dass’, aber auch teurer. Doch wichtig und staatserhaltend. Die Medien, vor allem die zwangsfinanzierten, rühren um, als ob sie frei wären und helfen das Bild der freien Wahlen zu festigen.

Nach Schliessung der Wahllokale wird es Hochrechnungen geben, wer gewonnen hat. Die grosse Zahl. Wer bezahlt und wer zahlt. Zumindest vordergründig werden die Zahlen überzeugen. Wie in der Börse. Bis zum nächsten Crash.