Die schwarzen Löcher

/ Haimo L. Handl

Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Ein unfrommer Wunsch, ein schwacher Trost als Racheersatz für jene, die selber keine Grube graben können. Dies es dem ‘Herrn’ überlassen, der behauptet, ‘die Rache ist mein’. Das Menschenkonstrukt ‘Gott’ als Oberloch, in das alles versinkt. Nein stimmt nicht, denn der Himmel, wo Allah, Jahwe oder wie er sonst heissen mag, wohnt, ist ja das Paradies. Sogar in der Lochwelt gibt es ein Unten und Oben, und unten herrscht der Herr der Finsternis, der aber einmal als Lichtbringer, Luzifer, dem Oberen Konkurrenz machen wollte. Irgendwie hat ihn das Loch nicht ganz verschluckt, scheint es.

Also geht es immer noch human zu in der Götter und Löcherwelt. Sogar Wissenschaftler religiosisieren bramarbasierend neometafysisch vernünftiges Denken und einige Chaosforscher warnen vor den Löchern, den schwarzen.

Wir haben wahrlich ängstliche Zeiten und deshalb ein Wiedererstarken des dunklen Denkens, des religiösen. Dass fachliche Termini immer noch, wie dazumal, als der Denkhorizont noch beschränkter war, so anschaulich das Unanschauliche metaforisch umschreiben, wie z.B. der dümmliche Ausdruck ‘Gottespartikel’, beweist das Dilemma der aufgeklärten Gesellschaft und ihrer Wissenschaften. Da schleichen sich sogar in den höchstentwickelten Bereichen atavistische Vorstellungsformen ein, fast zum Beweis der bedingten Befangenheit, der tiefen Angst vor dem Unbekannten.

‘Wenn alles in einem einzigen Loch verschmölze’, na, dann wäre es kein Loch, sondern das alleinige Nichts, das niemanden und nichts sonst erlaubte, also keinen Unterschied, kein Denken. Für uns, die Schwachen, ist ein Loch nur als etwas Anderes von einem Festen denk- und vorstellbar. Es bedingt ein Sein, von welchem wir das Gegenüber, das Gegenteil denken. Es geht um den Unterschied. Dort, wo nur Eines ist, kann es keinen Unterschied geben. Dann gibt es auch keine Löcher. Auch kein Loch.

Von Löchern wissen bedeutet, von dem zu wissen, innerhalb dessen Löcher sein können. Unterschiede erkennen, wenn auch nicht voll verstehen. Interessant, dass Nichtwissenschaftler sich das vorzustellen vermochten:

Der Lattenzaun

Es war einmal ein Lattenzaun, mit Zwischenraum, hindurchzuschaun.

Ein Architekt, der dieses sah, stand eines Abends plötzlich da -

und nahm den Zwischenraum heraus und baute draus ein großes Haus.

Der Zaun indessen stand ganz dumm mit Latten ohne was herum,

ein Anblick gräßlich und gemein. Drum zog ihn der Senat auch ein.

Der Architekt jedoch entfloh nach Afri - od - Ameriko.

Das schrieb Christian Morgenstern (1871-1914). Das war Dichtung, auch im Nonsens, und nicht Wissenschaft. Zu jener Zeit notierte Friedrich Nietzsche (Menschliches, Allzumenschliches, II/11)

‘Die Freiheit des Willens und die Isolation der Facta.? Unsere gewohnte ungenaue Beobachtung nimmt eine Gruppe von Erscheinungen als Eins und nennt sie ein Factum: zwischen ihm und einem andern Factum denkt sie sich einen leeren Raum hinzu, sie i s o l i e r t jedes Factum. In Wahrheit aber ist all unser Handeln und Erkennen keine Folge von Facten und leeren Zwischenräumen, sondern ein beständiger Fluss. Nun ist der Glaube an die Freiheit des Willens gerade mit der Vorstellung eines beständigen, einartigen, ungetheilten, untheilbaren Fliessens unverträglich: er setzt voraus, dass j e d e einzelne Handlung isolirt und untheilbar ist; er ist eine A t o m i s t i k im Bereiche des Wollens und Erkennens.’

Soviel zu den Löchern und dem Einen, sei es das nichtige Nichts oder seiende Sein. Die Angst vor dem Versinken und Verschlungenwerden in einem schwarzen Loch könnte Ausdruck einer Höllenangst sein, einer Angst vor dem Tod, nicht nur seiner selbst, sondern von allem (das scheint nach wie vor mehr zu wiegen!).

Der kluge Nietzsche machte sich darüber Gedanken (Nachlass 1881):

‘[…] die vollkommene Erkenntniß würde uns muthmaaßlich kalt und leuchtend wie ein Gestirn um die Dinge kreisen lassen - eine kurze Weile noch! Und dann wäre unser Ende da, als das Ende erkenntnißdurstiger Wesen, welche am Ziehen von immer feineren Fäden von Interessen ein Spinnen-Dasein und Spinnen-Glück genießen - und die zuletzt vielleicht freiwillig, den dünnsten und zartesten Faden selber abschneiden, weil aus ihm kein noch feinerer sich ziehen lassen will.’

Wissenschaft generiert nicht Sicherheit. Sie erzeugt Unsicherheit. Ihre Fragen stellen fortwährend neue Fragen. Die wenigen Antworten, die sie liefert, rufen ihrerseits sofort neue Fragen auf. Deshalb suchen die meisten im Glauben Zuflucht. Dort herrscht Sicherheit. Glauben ist eine Antwortwelt, eine Versicherung. Das Paradies des Nichtwissens und nicht Denken Müssens.