Der Alternativmediziner

/ Haimo L. Handl

Dass der Psychiater Radovan K. während 12 Jahren unerkannt als Arzt und Helfer, als Alternativmediziner zu wirken vermochte, im benachbarten Ausland als auch in Serbien, in der Hauptstadt Belgrad, während ihn die Öffentlichkeit irgendwo in einem Versteck in den montenegrinischen Bergen vermutete, beweist nicht nur die tüchtige Kollaboration der serbischen Regierungen und Geheimpolizei, sondern auch das persönlich Geschick einer schillernden Persönlichkeit, die nach wie vor für viele als Held gilt, als Vaterlandsretter.

Ich will hier nicht auf die politischen Aspekte eingehen. Das ist in unterschiedlichem Ausmass schon geschehen und sie werden jetzt neu behandelt werden. Auch das zynisch-schnöde Schachern der serbischen Regierung für ein leichter erwerbbares Eintrittsticket nach Europa soll hier nicht berücksichtigt werden. All das wird sicher von vielen Seiten breitgetreten werden.

Ich versuche zu überlegen, wie ein Arzt, ein Seelenarzt (Psychiater) seine Berufung als Politiker im dreckigen Mordsgeschäft hatte finden können, um dann, bruchlos und abrupt in die eigentliche Rolle des Arztes, wie ihn die Geplagten, Bekümmerten suchen, zu schlüpfen und zu erfüllen: er verhökerte Salben und Potenzmittel, sprach Trost und versprach nicht nur Hilfe, sondern half. Es gibt Zeugnisse.

Er war von seinesgleichen, also Medizinern, Esoterikern und Gutmenschen angenommen und aufgesucht worden. Leute der Zunft, die meist sensibel darauf hinweisen, dass die Kräfte der Seele sich ausdrücken, weit über den rationalen Bereich des Intellekts hinaus, über die Facetten der Persönlichkeit, die von einer unverwechselbaren Strahlkraft, einer Aura reden, würde ich jetzt gerne erklären hören, wie es mit der Aura des Gurus Radovan K. denn war.

Hatten die seelischen Seismographen falsch angezeigt? Oder ist der Alternativmediziner so wirklich geändert, dass nichts Negatives zu spüren war? Die Beantwortung wäre ein wichtiger Hinweis zur Deutung des alternativen Hilfsdienstes, als welcher der esoterisch eingefärbte Alternativzirkus oft auftritt.

Wie steht es um das Verhältnis von Innerem UND Äusserem? Das Äussere hat R. K. ja angepasst und geändert. Aus profanen Gründen wohl. Aber es wirkte. Hat er auch sein Inneres geändert? Oder, dramatischere Frage: Musste er sein Inneres gar nicht ändern, weil auch seine Kriegerhaltung, his killer’s mind, nur eine Facette in der komplexen Struktur seiner Persönlichkeit darstellt und, bei einiger Ichstärke, von den gütigen, ‘wahren’ anderen Seiten überboten, übertüncht wird? Das heisst dann, dass es keine Rolle spielte, ob der dichtende Mordbefehlshaber und Scherge als Soldat dieses oder jenes tat und befahl, wenn er in der anderen Rolle als Mediziner auftrat und überzeugte.

Dies wiederum hiesse, dass es aber keine seelischen Einfärbungen gibt, die andere spüren könnten, keine (negative) Aura. Auch ohne Maskerade wäre R. K. kein Monstrum gewesen. Es gibt keine. Die Bezeichnung ist eine hilflose Vereinfachung. Das Böse ist auch ohne Maske oder Monstrums-Etikett böse. Oder für einige bzw. viele doch nicht? Bedarf es der Etikettierung, wie einer magischen Namensgebung?

Dann hätte der Psychiater seine Umwelt ‘korrekt’, weil realistisch, gedeutet. Denn was er ist, hängt vom Bild ab, das er sich gibt, das er anzieht, wie Kleider. Einmal die Uniform des Militaristen, des Befehlshabers. Dann die des Mediziners. So einfach kann das sein. Und immer blieb er er selbst.

Nur die Naiven halten sich an andere Zeichen und Etiketten. Oder quasseln von innerer Energie und seelischen Kräften, die im Verbund mit Kräutern und Salben helfen. R. K., der kein Salbader war.

Die Öffentlichkeit, zumindest breite Teile von ihr, sind dankbar, wenn sie Zerrbilder konstruieren darf oder geliefert bekommt. Der Fall des Josef F. in Amstetten hat dies ebenfalls bewiesen. Vielleicht ist es eine Art Selbstschutz, um das schier Unerklärbare in den Blick, in den Griff, auf den Begriff zu bekommen.

Aber Josef F., Radovan K. sind Personen wie Josef K., den ein Verklemmter, ein Leidender so meisterhaft entworfen hat. Hannah Arendt wusste, wovon sie sprach, als sie von der Banalität des Bösen schrieb.

Nun, zwischen Josef K., Josef F. und Radovan K. gibt es aber einen Unterschied. Während Josef K. & Josef F. ‘private’ Personen waren, hat Radovan eine öffentliche Rolle eingenommen. Einmal ganz offen als R. K., ein anderes Mal mit gewechselter Identität. Hier zwängt sich die bohrende Frage auf, wie die Umwelt, in der er wirkte, zu diesen beiden Rollen, die er verkörperte, stand.

Wie wirken die Taten-Bilder des Kinderbuchautors, des dichtenden Heimatsohnes und des helfenden Arztes auf die andere Rolle? Was soll gelten? Und wie verbindlich, wie stark?

Einige mögen sich getäuscht sehen vom bärtigen Doktor. Plausibel. Niemand kann das aber für die erste bedeutsame Rolle, die der Psychiater als Militär eingenommen und ausgeführt (‘gespielt’!) hatte, behaupten.

Und hier wird es unheimlich. Wird doch politisch argumentiert, dass Serbien, das Land, für welches der Psychiater die heldenhafte Rolle des Militärs erfüllte, jetzt, wo sie ihn abliefern, einen Riesenschritt näher zum Beitritt, zum Eintritt in die Union gekommen sei. So einfach ist das. Aber das kann nur bedeuten, dass die Union kein Wertsystem hat, das sich von dem, für welches der Held R. K. steht, wesentlich unterscheidet. Nur in einigen Äusserlichkeiten.

Vielleicht ist also die Indifferenz gegenüber dem Inneren der gemeinsame Nenner, dem die minimale, kosmetische Änderung im Äusseren genügt? Der Fall Radovan K. ist nicht nur SEIN Fall. Auch nicht nur einer der Serben. Er wird durch die hündische Realpolitik der Union ein Fall für Europa bzw. ist schon einer geworden. Und das nicht nur wegen der rechtlichen, militärischen und politischen Vorgeschichte, die hier, wie erwähnt, unberücksichtigt bleiben soll.

Oft musste ich den blöden Spruch hören: ‘Hitler ist in uns allen’. Er kursiert, in Abwandlungen, immer wieder von besorgten Psychologen, Historiendeutern und Priestern vorgebracht. Eine skandalöse Simplifizierung. Denn die Existenz einer Potenzialität ist von anderer Qualität als ihre Aktivierung, ihr Umsetzen. Das heisst: Handeln.

Indem behauptet wird, dass jeder schlimm oder monströs sein könne, wird verwischt, dass offensichtlich viele es bei der Möglichkeit belassen, während andere handeln. Eigentlich leisten solche Verniedlicher im Mantel der Humanverständigen, als Dusler nur Bärendienste. Sie helfen zudem, die Handlung gleichzustellen mit der Einstellung. Das ist nicht nur Humbug, das ist gefährliche Verdrehung: Da wir alle in uns das X, das Böse, tragen, gibt es keine Verantwortung für das böse Handeln, weil die blosse Voraussetzung schon mit der Tat gleichgesetzt wird! Denn wir sind ja alle gleich.

Ich wünschte, solche Apostel, ähnlich den Heilssuchern bei Medizinmännern, würden zu spüren bekommen, was der Unterschied von Einstellung und Handlung bedeutet. Für die Opfer im Krieg war er das Leben, um das sie gebracht wurden, für die Opfer der Foltern und Vergewaltigungen waren es Torturen, die nicht symbolisch gesprochen worden waren, sondern exekutiert. Die Vereinfacher, die das mögliche Möchten gleichsetzen mit dem Tun, verwischen nicht nur wesentliche, existenzielle Unterschiede, sondern leisten der Untat Vorschub. Eine Art Kollaboration.

Zu denen passt der bärtige Doktor, der früher als R. K. Uniform trug.