Dialoge der Kulturen

/ Haimo L. Handl

Ich lebe in vielen Kulturen und habe noch keine kommunizieren erlebt. Es kommunizieren nicht die ‘Kulturen’ als solche, als Systeme, sondern Vertreter von ihnen. Ich kommuniziere mit Angehörigen, Vertretern, Repräsentanten unterschiedlicher Kulturen, ähnlich wie mit Angehörigen ‘meiner’ Kultur. Aber ‘mein’ System tauscht sich nicht mit einem anderen aus. Auch in ‘meiner’ eigenen Kultur erlebe ich in den Kommunikationen so extreme Unterschiede, dass ich nicht von einem kompakten oder gar homogenen Kulturgebilde denke und spreche.

Manchmal erschwert sogar das breite, hohe und tiefe Kulturwissen die Kommunikation, weil es sich nicht adäquat auf das Gegenüber anwenden lässt. Entsprechend der Kommunikationssituation konfrontiere ich mein Gegenüber nicht einheitlich oder fix mit all meinem Wissen, meinen Erfahrungen und Erwartungen, sondern unterscheide, versuche spezifisch auszurichten und Verallgemeinerungen soweit unter Kontrolle zu halten, dass sie mir, soweit bewusst, das Genuine, Authentische des Kommunikationsaktes nicht verzerren und stören. (In vielen Alltagspraxen läuft das ganz selbstverständlich ab, wann die Kommunikation auf die Rollenträger ausgerichtet werden: Privates, Beruf, Dienstleistung, Konsument, Arzt, Mechaniker etc..)

Doch manchmal kann die positive Haltung selbst schon eine Täuschung sein. Austausch ist nur möglich, wo ein Minimum an gleichen Regeln eines gleichen Systems beachtet und genutzt wird. Sonst gibt es kein Treffen, keine Übereinstimmung. Beides ist Voraussetzung für Verstehen und Verständnis.

Seit je waren Kommunikationsbemühungen darauf ausgerichtet, den andern zu erreichen, zu verstehen, wie man selbst wünschte verstanden zu werden. Sonst hätte es ja überhaupt keinen Austausch, keine Übersetzungen, weder literarisch noch religiös oder filosofisch geben können, vor allem aber nicht wirtschaftlich. Kulturen beeinflussten einander. Über die vielfältigen Arbeiten von verschiedenen Experten in verschiedenen Kulturen wurden Wissen und Erfahrungen ausgetauscht, die das ‘Kulturwissen’ anreicherten, ohne dass man von ‘Interkulturalität’ sprach, weil Kultur schon beinhaltete, was heute als interkulturell besonders hervorgehoben werden muss.

Die hohen Kulturleistungen der Frühzeit waren von Eliten vorgegeben und vertreten. Aber ist das heute im Wesentlichen anders? Gemessen an den populär verbreiteten interkulturellen Direktiven und Politiken ist das gegenseitige interkulturelle Verständnis ziemlich mager und dünn. Gemessen an den Kommunikationsmitteln und den gesteigerten Bildungsgraden in verschiedenen Gesellschaften, an dem enorm angewachsenen Kulturwissen der Eliten, ist der sogenannte interkulturelle Austausch nicht sehr weit gekommen, vor allem, wenn sich der Hauptaustausch nach wie vor in Ausbeutung, Verfolgung und Krieg äussert: Wir haben wegen solcher Gründe die grössten Migrationsbewegungen, ja Völkerwanderungen seit je!

Also macht mich das stereotype Gerede vom ‘Dialog der Kulturen’ etwas skeptisch. Ich meine, wir gewännen schon, wenn Mehrheiten so gebildet wären und würden, dass sie über ihren Tellerrand und Zaun hinaus mit anderen ähnlich kommunizierten wie mit denen, die innerhalb des (vermeintlichen) Zaunes leben.

Denn auch innerhalb meiner eigenen Kultur kommuniziere ich nicht mit jedem. Und mit den ‘Gewählten’ auch nicht über alles. So auch mit anderen ‘ausserhalb’. Für Kommunikation gibt es Gründe, Ziele, Absichten, Wünsche. Der Erfolg der Kommunikation hängt auch, aber nicht nur davon ab, wie gut die Teilnehmer die Systeme und ihre Regeln kennen und beherrschen und diese Kenntnisse umsetzen. Bei ‘gutem Willen’ können sogar objektive Manki (geringere Regelkenntnisse oder wenig Wissen) ausgeglichen werden; jeder Reisende oder Tourist kann das selbst erfahren, wenn er mit Händen und Füssen spricht, radebrecht und dennoch sein Kommunikationsziel erreicht.

Viel hängt also von den Absichten und Motivationen ab, vom generellen Respekt. Jemand, der einen anderen, oder, weil vorurteilend, alle Angehörigen einer Gruppe, z.B. ‘die Deutschen’ hasst, also dem Anderen die Chance nimmt als Person wahrgenommen zu werden, wird als ausgewiesener ‘Antideutscher’ nie positiv mit Deutschen kommunizieren können, auch wenn er die Sprache und Systemregeln beherrscht. Seine Ausrichtung, seine Vorurteilshaltung haben ihn auf Negatives fixiert, sodass einzelne Kommunikationsleistungen nicht das erbringen können, was sie könnten, wäre die Kommunikation offen und unvoreingenommen geführt worden. (Die Umkehrung, das positive Vorurteil, wirkt ähnlich!) Dieser Aspekt der Verhärtung und Vorurteilshaltung wird jedoch gerade in den Zeiten der interkulturellen Dialoge von vielen Angehörigen von Gruppen politisch Korrekter oder Gutmenschler übersehen.

Übrigens würde auch eine Kommunikation eines Antideutschen mit mir, einem Österreicher, nicht funktionieren, nicht, weil ich kein Deutscher bin, sondern weil sie extrem vorurteilend ist. Die gleiche Fixierung und bornierte Einseitigkeit machte ein Gespräch zwischen fanatischen Religionsangehörigen und nicht fanatischen unmöglich usw. Das ist keine Frage einer spezifischen Kultur, Nationalität oder gar Ethnie und Rasse, sondern der offenen oder geschlossenen, vorurteilenden, dummen Kommunikation.

Gegen die Appelle interkultureller Dialoge, Kommunikationen und Kompetenzen ist überhaupt nichts einzuwenden. Ich für meinen Teil sehe schon einen wichtigen Beitrag geleistet, wenn zwei Aspekte umgesetzt werden: Respekt und Bildung. Damit meine ich jene Voraussetzung, die unabhängig vom Bildungsgrad, dem Wissensstand und den Kenntnissen schon einen wesentlichen Wert darstellen und dann eben ‘Bildung’, die sich nicht nur auf ‘Skills’ beschränkt. Primär aber sind die charakterlichen, menschlichen Züge einer positiven Sicht, die nicht borniert einengt und ängstlich verschlossen hält. Eine Sicht, die in der Vielheit und Vielfalt nicht einfach das Negativum einer ‘Reizüberflutung’ und eines unzumutbaren Stresses sieht, sondern die Chance einer sich öffnenden, weitenden Welt.

Eine gebildete Person wird Aspekte vieler Kulturen in ihrem Kultur- und Zivilisationswissen haben, so dass Unterscheidungen, was wovon stammt oder wofür steht bzw. was repräsentiert, schwierig würde, wollte man Demarkationslinien ziehen und Felder als nationale Kulturbereiche identifizieren.

Ich tausche mich mit Personen aus verschiedenen europäischen Ländern aus, die entweder keiner Religionsgemeinschaft angehören oder unterschiedlichen, die verschiedene Bildungssozialisationen durchgemacht haben, die als Persönlichkeit, also als gereifte Person in einem hochkomplexen, dicht verwobenen Netz von Wissen, Kenntnissen und Erfahrungen leben, dass es müssig wäre zu sondieren, was woher stammt oder wohin weist usw. Das kann zwar auch unternommen werden, dafür müssten aber Gründe vorliegen. Ich bin im Verkehr mit Angehörigen asiatischer, afrikanischer und lateinamerikanischer Kulturen. Ich bin aber kein Spezialist für die jeweilige Kultur. Ich sehe mich nicht einmal repräsentativ für die Kultur, in der ich am meisten lebe. Trotzdem kommuniziere ich mehr oder weniger erfolgreich.

Die eigentümlichen Aspekte zB indischen oder chinesischen Denkens werden erst dann relevant, wenn es Verstehensprobleme gibt oder das, was als typisch für solche Denkarten gilt, stark hervortritt. Dies gilt auch umgekehrt für das europäische oder abendländische Denken, wie es von einem Asiaten wahrgenommen werden mag. Doch das kann meist schnell geklärt werden. Dass es nicht mit jedem überall und immer funktioniert, sollte nicht besonders erwähnt werden müssen. Das ist eine Binsenwahrheit.