Sterbegeplapper

/ Haimo L. Handl

Es ist üblich geworden unter sich modern und offen dünkenden Menschen, Sprachkritiken als Ausfluss negativer, kulturpessimistischer Sichten zu denunzieren. Im Rundumschlag gegen Kritikaster werden oft auch Hinweise auf Sprachfeinheiten als pingelige Beckmessereien geziehen.

Bei Seminaren höre ich oft und öfter, dass man ja nicht so genau lesen müsse, wie ich es pflege, man wisse ja, wie’s gemeint sei.

Mit dieser Haltung ist eigentlich weder Kritik möglich, noch Bildungsfortschritt, weil der Änderung bedingte, die aber als unerheblich oder unnötig gesehen wird, da man ja wisse, worum es geht, und da Spitzfindigkeiten Sofistereien seien oder, noch schlimmer, faschistoider Sprachbewahrungsgestus usw.

Dennoch, als ich kürzlich im Radio (Ö1, der Kultursender) jemanden von der ‘Erlebbarkeit des eigenen Todes’ reden hörte, war ich verwundert - und erschrocken. Denn es geht hier nicht nur um eine Sprachschluderei oder Schlampigkeit. Es geht auch um ein Denken, das dieser Art Sprache zugrunde liegt.

Ernst genommen bedeutet die zitierte Aussage, dass der Tod, also der Abbruch des Lebens, das Ende, ‘erlebbar’ sei. Schon das Wort ‘erleben’ bedingt ‘Leben’, innerhalb dessen etwas erlebbar wird. Nie und nimmer kann etwas ausserhalb des Lebens erlebbar sein. Der Widerspruch schien aber nicht zu stören. Geht es um Mystik, Esoterik und Offenheit? Viele meinen ja, sie leben erst im Tod oder nach dem Tod. Das eigentliche Leben sei im Jenseits. Trotzdem widerspreche ich auch Tiefreligiösen oder anderen Geängstigten, dass sie den Tod ‘erleben’ könnten. Auch wenn sie’s jetzt, während sie noch leben, meinen.

Die Sucht, alles erleben zu wollen, auch den Tod, bedeutet, den Abbruch nicht als Abbruch hinnehmen, sondern sogar ihn zu erleben, obwohl man schon hin und fertig ist, weg, abgebrochen. Sprachlich wäre das so, wie wenn der Begriff ‘Abbruch’ abgeschafft oder ergänzt würde durch den Begriff ‘Unterbruch’. Und tatsächlich trösten sich die Mehrheiten, dass der Tod kein Abbruch sei, sondern ein Unterbruch des Lebens. Den Abbruch erleben zu wollen bedeutet auch eine Konsumsucht: nicht annehmen, was bis zum Abbruch ist, sondern den Abbruch selbst erlebbar machen und damit verwandeln. Eine dumme Gier. Den Tod nicht hinnehmen wollen ist Eines, ihn umtaufen und leugnen, ihn ‘erleben’ zu wollen, ein Anderes. Der Wunsch nach Unsterblichkeit ist in allen Kulturen anzutreffen. Er infiziert(e) fast alle.

In der Erlebniswelt werden vielleicht bald Erlebnisparks eingerichtet, wo man seinen eigenen Tod erleben darf. Wird das auf den tausenden von Schlachtfeldern (alter Ausdruck: es sind nicht mehr die Felder, in und auf denen geschlachtet wird!) nicht tagtäglich und nachtnächtlich geübt?

Man könnte auch die grausamsten Foltern als Gnadenakt hinstellen: man gewährt den Privilegierten die einmalige Chance sich zu reinigen und zugleich die höchsten und tiefsten Erlebnismomente zu erfahren. Es gibt nichts Intensiveres! Kein Reality-TV kommt da ran, kein Koks schnupfen. Folter und Krieg, das sind die tiefsten Erlebnisbereiter.

Mord ist nicht Mord, weil die Tat nur eine Zeitverkürzung ist und kein Abbruch, kein Umbringen (das Wegnehmen des Lebens als wegbringen = umbringen, jemanden um sein Leben bringen). Noch stirbt eh jeder. Fragt sich nur wann und woran.

Erleben ist alles! Gefühle haben und zeigen ist oberstes Gebot! Psychospezialisten und Spezialcoaches trainieren vertiefte emotionale Intelligenz und Kompetenz! Wir wollen und müssen mehr erleben und mehr fühlen.

Das kam mir in den Sinn, als ich vor einiger Zeit in einer Rezension in der Neuen Zürcher Zeitung den Satz las ‘Wie sich das Sterben anfühlt, das weiss nur der, der schon gestorben ist.’ (Judith Leister in ihrer Rezension des Buches ‘Die Schattenfrau’ von Marlene Streeruwitz, 29.4.2008). Da kann man als Lebender einfach nichts mehr sagen. Erst wenn ich gestorben bin, werde ich wissen, wie sich das Sterben, der Vorgang des Abbrechens, zum Ende kommen, vom Leben zum Tod, ‘anfühlt’. Tröstlich, nicht? Wozu dann das Theater um Lebensbedingungen hier und heute? Freut euch aufs Sterben und auf den Tod. Geniesst den Abbruch, das Ende. Das klingt wie nach einer Endkultur, die gar nicht so weit weg ist von der Endsiegkultur. Viva la muerte! Nur anders erlebbar.