Spanner & Späher

/ Haimo L. Handl

Was früher in den mächtigsten Diktaturen, denen der Nazis und Stalinisten, noch umständlich ablief aufgrund des damaligen technologischen Entwicklungsstandards, was sogar in Utopien gegenüber der heute erreichten Realität nur annähernd visioniert worden war, greift nun auch, wie befürchtet, in den sogenannten Demokratien ein und durch: die systematische Ausspähung und Überwachung. Vor Jahren schon prangerten einige die ‘Lauschangriffe’ an.

Jetzt sollen winzigste Videowanzen in Privaträumen installiert werden; neben den ‘Nachrichten’ erhält die Behörde gleich die Filme. Die Privatsphäre gibt es nicht mehr. Bürger stehen unter Generalverdacht. Der Staat rechtfertigt seinen Verfassungsbruch von mühsam errungenen Bürgerrechten mit der stereotypen Floskel von Staatssicherheit. Staatssicherheit.

Es ist nur wenige Jahre her, dass der deutsche Bauern- und Arbeiterstaat, das antifaschistische Bollwerk, bis ins Mark selbst linksfaschistisch, barbarisch, verbrecherisch, mit der höchsten Volksbeteiligung von Denunzianten organisiert, implodierte. Die Stasi hatte noch nicht die technischen Mittel, die heute den BNDlern oder Staatsschützlern in Grossbritannien, Frankreich oder auch bei uns zur Verfügung stehen.

Besorgniserregend ist die Ideologie, das Verschieben von Bedeutungsfeldern im Denken und Handeln. Freiheit wird primär als Gefahr gesehen, Observanz, Überwachung, Kontrolle als vernünftige Staatsaufgaben. Wer auf sein Privatrecht pocht, macht sich verdächtig, weil nur der es beansprucht, der etwas zu verbergen hat.

Der Betrug einerseits, die politkriminelle Ausrichtung der Verantwortlichen andererseits, zeigt sich im Alltag. All die teuer finanzierten Lauschangriffe verhinderten keine der gravierenden Wirtschaftsverbrechen, die sich nun zu einer weltweiten Finanzkrise ausweiten, die Millionen Menschen den eh schon schwach gewordenen Arbeitsplatz kosten, die etliche weitere Steuermilliarden auffressen. Das Verbrechen geschieht somit dreimal: zuerst wird Vermögen vernichtet, dann werden Millionen zu Opfern, weil sie nicht nur Investitionen verlieren, sondern Arbeitsplätze, Existenzen. Der dritte Teil der Monsterverbrechen liegt im Diebstahl von Volksvermögen, von Steuermitteln, um just die Folgen der Verbrechen, der Versagen, auszugleichen.

Gemessen am Umfang und an der negativen Qualität dieser Wirtschaftsverbrechen erstaunt die ‘Ruhe’, das Stillehalten. Es gibt keinen politischen Protest, keinen Widerstand, keine Rebellion, keinen Bürgerkrieg. Eigentlich müsste es losschwappen gegen die Manager und ihre Banken im Hintergrund, die mit dem niedlichen Ausdruck von ‘Heuschrecken’ nicht annähernd in ihrer zynischen Ausbeuterei und Verbrecherei etikettiert werden.

Jetzt sollen also Videowanzen in Wohnungen installiert werden. Sicher nicht bei den Siemens-Managern, bei Merrill & Lynch, bei der Federal Reserve usw. Nicht in der Stock Exchange oder wichtigen Managerbüros. Nicht bei Microsoft oder den ISO-Büros. Nein, in den Bürgerwohnungen. Weil die Bürger verdächtig sind. Weil man den potentiellen Attentätern und Terroristen es nicht gleich von aussen ansieht, wer und was sie sind.

Zur Gründungszeit der USA war es leicht, die Eingeborenen zu erkennen: sie unterschieden sich äusserlich. Die später eingeschifften Sklaven waren schwarz und anders. Man brauchte keinen gelben Stern und Armtätowierungen.

Heute ist das viel komplizierter. Terroristen tragen nicht immer Bärte und wallende Gewänder. Sie geifern nicht speichelverschmiert. Sie sind cool wie unsere Manager. Also muss man überwachen, um die einen von den anderen unterscheiden zu können. So ganz nebenbei erhält die Polizei Bildmaterial, das sich für gewisse Fälle und Aktionen verwenden lässt: Beweismaterial über Perversitäten, Kindsmissbrauch usw.

Damit kann man nicht nur Täter überführen, sondern auch Nichttäter erpressen. Der Staat kann endlich ein staatliches Pornografielager einrichten, das den Vorteil hat, mit ‘Echtdaten’ verknüpft zu sein. Die sogenannte ‘Vorratsdatenspeicherung’ wird somit in wenigen Jahren nicht nur ‘Profile’ liefern, sondern ‘dichte Bilder’ und Indizien von Querverbindungen, die sich vielfältigst nutzen lassen.

Wenn der Adolf das wüsste! Einerseits wäre er neidisch, andererseits stolz: hat sich doch sein Denken fortgesetzt, wird gepflegt und ausgebaut, raffiniert kaschiert. Er würde sich sagen: sie machen weiter, gut so.

Als Orwell sein ‘1984’ kurz nach dem Krieg schrieb, orientierte er sich für seine Negativutopie an den entmenschenden Systemen der Nazis und Stalinisten. Er konnte nicht ahnen, dass schon nach nur zwei Generationen der Ungeist, den er geisselte, gesiegt und, modernisiert, verfeinert, ‘human’, sich in den sogenannten Demokratien eingenistet haben würde, dass Regierungen jener Länder, die früher gegen die Faschisten und Stalinisten gekämpft hatten, jetzt selbst ein Menschenbild pflegten, das allem Humanismus Hohn sprach, das die Menschenrechte, die sie 1948 installierten, 1948, das Orwell in der Umdrehung zum Titel nahm, missachtete. Nichts galt mehr von den hehren Worten und Werten. Nach einem langen Umweg waren die sogenannten Demokratien dorthin gekommen, wohin ein Hitler und Stalin etwas direkter und kürzer, auch offener, wollten.