Glück

/ Haimo L. Handl

Ich erhalte einen Kettenbrief mit chinesischen Weisheiten als Glücksbotschaft. Die Aussagen sind Wahrheiten, die in fast jeder Kultur gängig sind. Doch die ‘gute Botschaft’ wird desavouiert durch eine peinliche Auflage, einer dringenden Aufforderung, die Botschaft mehreren Leuten weiterzureichen. Wer das nicht mache, erleide Unglück, wer es mache, erfahre Glück. Und als ‘Beweis’ wird, natürlich unüberprüfbar, behauptet, jemand habe wegen der Identifikation mit der Glaubensglückbotschaft und Weiterleitung X Millionen gewonnen, ein anderer dagegen seinen Job verloren usw.

Eine dümmliche, abergläubische Pseudodenkweise begünstigt die Folgschaft solcher Glaubensbotschaften. Erstens erstaunt die Dürftigkeit der Glücksvorstellungen, die wir seit den Märchentagen kennen: Reichtum, Macht. Zweitens verwundert die Annahme, dass fromme Sprüche irgend etwas Positives bewirken könnten. Wäre dem so, müssten doch gerade Mitglieder jener Völker, Gesellschaften, Gemeinschaften und Kulturen, die sich solcher Denkweisen befleissigen, ‘glücklich’ sein: im bornierten Verständnis der Kettenbriefschreiber also ‘reich’ und/oder mächtig. Sie sind es aber nicht. Die Mehrheit ist arm und bedürftig.

Vielleicht gerade deshalb versenden auch in unseren Gesellschaften Leute solches Zeug. Sie glauben, obwohl sie nicht wissen, weshalb und was. Es ist eine vage Vorstellung. Eine nebulose Hoffnung. Die Bereitschaft zum Glauben drückt eine Herdenhaltung aus, die jener gleicht, die dumm-willig die Horoskopmeldungen anhören und befolgen. Im ORF z.B. werden von jungen, modernen Sprechern blöde Orientierungsvorgaben aufgrund von Horoskopen verlesen, die von X Tausenden willig angenommen und von einigen sicher befolgt werden.

Die vagen ‘Anweisungen’ entlasten das geplagte schwache Ich, entheben möglicher eigener Verantwortung und gewähren das Glücksgefühl, im höheren Auftrag zu handeln. Oder einfach, entsprechend den Sternen oder der schicksalhaften Fügung, einer nicht weiter hinterfragten Determinierung, gehandelt zu haben. Man fühlt sich als Teil eines höheren Ganzen. Eine quasi religiöse Haltung. Mentaljunkies.

Moderne Medien stellen sich in den Dienst der Verblödung, der niederhaltenden, antiemanzipatorischen Propaganda. Weshalb? Geschäft? Weil man damit mehr Zuhörer, Zuseher, Käufer erreicht? Weil das Publikum, die Konsumenten, es wollen? Weil die Macher wissen, wie dumm ihre Klientel ist? Weil sie selber dumm sind?

In der Botschaft heisst es, Glück lasse sich nicht kaufen. Dann folgt die Forderung. Als Geschenk wird Glück vergeben. Wie früher beim Ablass. Versprechen und Drohung gemischt. Man kauft sich nicht mit Geld das Glück, aber druch Gehorsam, durch Mitmachen. Mitlaufen. Eine Übung der Mitläuferkultur. Der Kuscher. Die mit dabei sind. Der Adabeis im erweiterten Sinne.

Gibt es einen Anspruch auf Glück? Wo reklamiere ich, wenn ich kein Glück habe? Wie messe ich, dass ich Glück habe? Wie kann ich je wissen, wann ich welches Glück versäumte? Jeder, der denkt, und nicht nur pseudodenkend suhlt, wird durch Denken beunruhigt. Nur das Nichtdenken beruhigt. Die Nachfolge. Die Folgschaft. Wie in allen Religionen verspricht die Unterwerfung unter den Gott und seine Profeten oder Priester Glück. Leider glauben das Mehrheiten. Immer noch.

In diesem Aspekt sind auch viele Gebildete unkritisch bzw. inkongruent, widersprüchlich. Einerseits aufgeklärt, wissenschaftlich orientiert, andererseits religiös oder abergläubisch. Sie sind dankbar, einem höheren Programm sich unterwerfen zu dürfen. Sie dürsten nach dem Wort des Herrn, des Vaters, des Übervaters. Und wenn sie so weit gekommen sind, diese Instanz nicht zu personifizieren, dann muss eine Kraft, eine Energie, ein ‘Geist’ herhalten. Manche lesen aus den Sternen, spüren die ‘Schwingungen’ und deuten so als Realität und ‘Auftrag’, was sie wollen und brauchen. Viele bescheiden sich nicht mit ‘ihrem’ Glück. Sie wollen andere beglücken. Helfer-Syndrom. Zwangsbeglücker.

Einige dieser Spezies sind aber beleidigt, wenn ein anderer sich nicht unterwirft. Wenn er als Gläubiger einen Ungläubigen trifft. Allein die Existenz des Ungläubigen, des Anderen, wird ihm zur Provokation. Manche erwehren sich dieser Anmassung brutal, mit Gewalt.

Glücksversprechen sind frecher als Freiheitsversprechen. Freiheit kann in einem gewissen Ausmass erreicht, erarbeitet werden. Freiheit ist kein gegebener Naturzustand. Glück kann weder verordnet noch verabreicht, gewährt werden. Alle derartigen Versprechen sind Täuschung. Oder Betrug. Oder beides.