Zensur ist wieder eine achtenswerte Übung

/ Haimo L. Handl

In jüngster Zeit werden nicht nur verschiedene Rufe nach Zensur laut, sondern es wird auch zensuriert. In einigen Staaten offiziell staatlich, in einigen offiziell religiös oder ‘kirchlich’, in einigen, wo es offiziell keine Zensur mehr gibt, inoffiziell oder vorauseilend, selbst. Selbstzensur ist Zensur, auch wenn ‘vernünftige Gründe’, z.B. Drohungen von unlieben Mitmenschen und Organisationen, die Zensur ‘begründen’.

Man gehorcht den Zwängen. Man spricht von Sachzwängen. Oder gleich davon, wie ungut eine freche Propaganda wäre, wie beleidigend und verwerflich. Wir sind so anständig und wollen niemanden beleidigen. Also zensurieren wir.

Wenn morgen ein Wissenschaftler Fragen aufwirft oder Probleme behandelt, die jemanden nicht in den Kram passen, sein Weltbild verletzen, sein religiöses Gefühl beleidigen, muss er wohl, wenn der Druck nur stark und laut und schrill genug ist, zensurieren, das heisst, seine wissenschaftliche Arbeit einstellen. Zu gefährlich. Nicht opportun.

Gleichzeitig halten wir Gedenktage für ‘nie vergessen’, erinnern an die Inquisition und die Nazis oder Stalinisten, die unfreie Wissenschaft, früher und heute, Bruno, Galilei oder jüngere. Nur nicht die Gegenwärtigen, denn für die heutige Zensur spricht die Multikulturalität, die Offenheit, die Freundlichkeit.

Noch darf ein Atheist wie Dawkins sein Buch unbeschadet publizieren. Noch wird er nicht gejagt. Mit Erstarken der herrschenden Haltung, der Quislinge in unseren Gesellschaften wird das bald nicht mehr möglich sein. Oder, wenn es einer doch versucht, wird er gejagt werden. Im Namen des Herrn, des Allah oder eines seiner Profeten oder von vielen Vertretern dieser Profeten.

Neben der staatlichen politischen Zensur durch die chinesische Regierung, die verzweifelt versucht, ihre nationale massenmediale Produktion ‘rein’ und unter Kontrolle zu halten, gibt es auch in Europa oder den USA wieder eine. Die ist nicht staatlich. Aber sie folgt, wie die Mehrheit der UNO, einem nebulosem Moralkode, einer Opportunität. Plötzlich sollen Karikaturen nicht publiziert werden, weil eine Gruppe Rabiater nicht nur aufschreit, nicht nur mit Mord droht, sondern als Antwort mordet. Die Morde werden als Ausdruck verletzter religiöser Gefühle akzeptiert. Plötzlich rangiert das kranke falsche Bewusstsein höher als die bürgerlichen Freiheiten, die die aufgeklärten Gesellschaften mühsam, langwierig und über viele Umwege sich erarbeitet haben.

Das Recht zur Meinungsfreiheit, zur freien Wissenschaft, sogar zur Häme (Karikatur) darf nicht an Geschmacks- oder Gefallens- bzw. Missfallenskritierien qualifiziert werden. Geschieht das, gibt man es auf. Konsequent beachtet schliesst so eine ‘freundliche’ Nichtbeleidigungshaltung jede Kritik aus, weil jede Kritik als unfreundlich gewertet werden kann.

Erstaunlich, wie Leute aus dem Westen, die es besser wissen müssten, den Mördern und ihren Vertretern, den Rabiaten, den Unduldsamen, den Intoleranten, den Hassenden Recht geben und Hass fokussiert vor allem dort sehen, wo ihn die Beleidigten ausmachen.

Was im Politischen oder Religiösen heute rumort und zu schmachvollen Rückzügen westlicher Regierungen oder Staatseinrichtungen bzw. Verlagen und Medien führt, wird morgen in der Wissenschaft Effekte zeigen: einen Vorgeschmack haben wir schon durch die Gentechnikdebatte, die Klimadiskussion usw. Man stelle sich vor, eine Gruppe vermag es, ihre Sicht zur allein verbindlichen zu machen. So lange das ‘theoretisch’ geschieht, ist das kein Problem. Wird die Verbindlichkeit aber ‘durchgesetzt’ mit Gewalt, über den Staat, mit Sanktionsandrohung oder Ahndung, mit Verboten und Hatzen, ist es aus mit der Wissenschaft.

Es müsste doch auffallen, dass jene Gesellschaften, die so borniert religiös auftreten, keine innovative, prosperierende Wissenschaft pflegen. Auf wessen Konto gehen denn hilfreiche Erfindungen, neue Technologien, kontroversielle Forschungen? Auf das der Geängstigten, der braven Gläubigen? Natürlich erzeugen Wissenschaften neue Probleme. Aber auch neue Lösungen.

Die USA, selbst ein hoch religiöses Land, sind unter anderem noch deshalb führend, weil die Religiosität und ihre niederhaltende Funktion nicht die Freiheiten der Wissenschaft und Forschung, Technik und Wirtschaft einengen. Würden die amerikanischen Fundamentalisten Oberhand gewinnen, schwächten sich die USA mehr als durch jeden äusseren Krieg.

In Europa arbeiten Millionen von Quislingen, von feigen Opportunisten an der Demontage jener Werte, die Europa europäisch gemacht haben. Der Hinweis auf die blutige Geschichte, die vielen Kriege, die in Europa waren oder von Europa aus die Welt überzogen, ist kein Argument für eine neue, dunkle Religiosität, eine Anbiederung an die fundamentalistischen Moslems oder sonstige Nichtdemokraten. Es ist umgekehrt eine Aufforderung, die Werte der Aufklärung stärker zu beachten und umzusetzen.

Hätten die Antifaschisten im Zweiten Weltkrieg so feige eine Wischi-Waschi-Haltung gepflegt, wie heute viele grünrosarote Caritasseelen, wäre die Hitlerei nie überwunden worden bzw. es wäre nur zum Kräftemessen der beiden faschistischen Grosslager gekommen, dem der Nazis, der Nationalsozialisten, und dem der Stalinisten, der Nationalbolschewiken. Wie dieser Bruderkampf ausgegangen wäre, bleibt Spekulation. Europa, wenn nicht die Welt, wäre jedenfalls faschistisch.