Das Vergängliche als Einzigartiges

/ Haimo L. Handl

Viele lieben Blumen, weil sie rasch verwelken. Aber bis dahin sind sie eine Kostbarkeit. Manche mögen lieber langlebige Topfpflanzen oder gleich eine Abbildung, die im Rahmen für X Jahre das Bild gibt. Dauer versus Vergänglichkeit. Aber ein einmalig gutes Essen ist nicht vielmalig, sonst wäre es nicht einmalig. Wollen wir uns eigentlich mit Einmaligem abfinden, es gar schätzen? Oder schwätzen wir nur davon und meinen etwas Anderes?

Die Sucht, alles fotografisch oder als Video zu erfassen, zu speichern, weist darauf hin, dass dem Erleben und Erfahren des Einmaligen, das jetzt in der Zeit sich ereignet und nach seinem Ablauf verschwunden ist, meist weniger Wert beigemessen wird, als dem Abklatsch davon, der konservierbaren Aufzeichnung.

Hält man kurz inne und reflektiert, kommt man allerdings darauf, dass die schönsten, tiefsten und wichtigsten Ereignisse und Handlungen unwiederbringlich sind. Auch jene, die wir permanent wiederholen müssen, um zu leben, wie die Nahrungsaufnahme, können sich gleichen, führen aber dann zu gesteigertem Genuss, wenn es Abweichungen gibt, wenn es nicht ganz gleich ist, wie gewohnt. Und in der Erotik oder dem Sex wäre die gleiche Wiederholung die Abtötung der möglichen Lust. Trauer deshalb? Wie pervers wäre das Verhalten, weniger die konkrete Erotik, den aktiven Sex zu erleben und zu geniessen, als die Aufzeichnung davon. Die ausdrucksstärksten Bilder und Videos können nicht das wiederherstellen, was man im Moment gespürt hat. Erinnerung ist bestenfalls Annäherung.

Die Vergänglichkeit zeigt sich besonders beim Riechen. Geruch lässt sich schwer konservieren. Auch die Erinnerung daran ist schwieriger als an Bilder. Machen Sie die Probe aufs Exempel: welche angenehmen Gerüche ihres Partner oder ihrer Partnerin können sie erinnern? Wie war das damals, verschwitzt beim Tanzen, nach der Arbeit? Welche Zonen war riecherogen? Welche sind es noch? Sie haben Bilder, Briefe, Dokumente. Haben Sie Flacons abgefüllt mit Essenzen privatester, intimer Gerüche?

Steigt der Wert solchen Erlebens, weil es so rasch vergänglich ist? Mich begeistert es, dass nicht alles gleichwertig konservierbar ist. Ich will das Einmalige kosten und auskosten ohne Trauer des Verlustes.

Sogar dort, wo Wiederholungen geboten werden, in Theateraufführungen, gibt es Abweichungen, Einmaligkeiten, die ‘eigen’ sind, unwiederholbar. Sie sind das Gewürz. Gerade in kleinen Theatern ist der Kontakt mit dem Intimen und Einmaligen eher möglich: nahe an den Akteuren lässt sich das Spiel verfolgen mit jenen Eigenheiten, die sich von den stereotypen Wiederholungen abheben und unterscheiden. Da werden sogar Fehler zu Qualitäten!

Wäre ich vor die Wahl gestellt, eine Aufführung einer nicht berühmten Kleinbühne zu besuchen oder eine DVD eines hochberühmten Ensembles zu sehen, ich wäre im Theater und nicht vor dem Monitor. Natürlich hat die Konserve ihre Qualität und Funktion. Aber die Qualität des in der Zeit real Ablaufenden ist von ganz anderer Dimension. Die kann keine Aufzeichnung ersetzen.

Ein konkretes Essen ist nun mal ‘real’ und wiegt jede mediale Vermittlung von einem Essen auf: erstens kann ich vom Film nicht satt werden, aber auch wenn ich nicht hungrig wäre, kann keine Aufzeichnung jene Befriedigung liefern, die das reale Essen, die konkrete Nahrungsaufnahme erwirken. So ist es mit allem Anderen. Pornografie kann reizen. Aber sie kann nie den eigentlichen Sex ersetzen. Trotz aller Raffinessen nicht.

Wenn die Leute merken, dass echte Gespräche eine andere Qualität haben als virtuelle, werden sie vielleicht konkrete suchen und führen. Auch wenn das Konzert in einem kleinen Saal von unbekannten Musikern nicht meisterhaft ist, bietet es doch eine Dimension und Qualität, die keine Aufzeichnung bieten kann.

Mich wundert es deshalb, dass viele in Monsterveranstaltungen gehen, wo gerade dieses Moment des authentisch Realen durch die mediale Vermittlung am Ort praktisch verhindert wird. Wenn ich die Musiker nur auf Riesenleinwänden sehe, anstatt in der Nähe, wenn nicht mehr unterscheidbar wird, ob ein Playback läuft oder ‘real’ gespielt wird, verliert man etwas. Es wird getan als ob. Aber das Authentische, das Konkrete ist nicht als ob, es ist.

Wohne ich einem Schauspiel oder Konzert bei, das nicht aufgezeichnet wird, weiss ich, dass es einmalig, jetzt, in diesem Moment, sich ereignet und von mir wahrgenommen wird. Und wenn es das beste war, das ich bislang hörte oder sah, werde ich kein Dokument davon haben, keine Aufzeichnung. Nur die Erinnerung an ein Erlebnis. Ist das nicht einzigartig?

Es bedarf vielleicht einer gewissen generösen, verschwenderischen Haltung, diese Vergänglichkeit und Unwiederholbarkeit zu schätzen. Sie steigert die Wertschätzung, den Respekt - und die Liebe.