Disconnecting People

/ Haimo L. Handl

Steinzeitkapitalismus für die einen, Karawanenkapitalismus für die andern. Für alle ausser Nokia selbst unzumutbares, asoziales Verhalten. Doch Nokia folgt nicht Ethiken oder Moralen, sondern rationalen Geschäftsinteressen am globalen Markt. Da hat Humanität und Sozialdenken kein Platz. Es geht um Profite. Es geht um connections. Und zwar zu jenen people, die Geld bringen. Die andern werden abgehängt. Down and out. Pech gehabt.

Nokia scheffelt Gewinne. Deshalb wird das Werk in Bochum, Deutschland, geschlossen. Es rentiere nicht. Die Deutschen hatten zwar über 86 Millionen Euro ‘beigesteuert’ (subventioniert). Aber nach dem Ende der Bindungsfrist sah man sich um. Jetzt stehen über 2300 Leute ohne Arbeit da. Arbeitsohne, arbeitslos. Die Manager bei Nokia sind nicht arbeitslos. Die sind flexibel. Die sind smart.

Die EU fördert die ‘neuen Länder’. Das hilft globalen Kapitalisten. Also transferiert Nokia nach Rumänien. Denn dort sind die Lohnkosten niedriger. Obwohl die bei hochtechnisierter Produktion nicht wesentlich ins Gewicht fallen. Die Zulieferer seien in Bochum nicht gut und flexibel genug gewesen. In Rumänien existieren sie noch gar nicht in dem Ausmass, wie man sie brauchte. Aber dafür gibt es Subventionen, Förderungen und Häppchen.

Sogar die konservative Kanzlerin Merkel vermerkte öffentlich, dass sie einen Boykott von Nokia-Produkten ‘durchaus verständlich’ finde. Experten gehen aber davon aus, dass die Deutschen zu brav dafür sind. Auch die Gewerkschaften halten sich traditionell zurück. Nach einem kurzen Wirbel wird es weitergehen wie üblich: Der Staat zahlt die Sozialkosten (Arbeitslosengeld, Umschulung, Prämien für Betriebe, die Umschuler aufnehmen etc.), Nokia heimst weiter hohe Gewinne ein - und Förderungen, Subventionen, Billigkredite sowie Grundstück-Häppchen etc.

Die Leute in Bochum sind kleinkariert, wenn sie das nicht verstehen. Ein gesunder Betrieb kann keine Rücksicht auf seine Angestellten und Arbeiter nehmen. Es sind nicht ‘seine’, so, wie die Fabrik nicht ‘ihre’ ist. Es sind nur ‘Gastverhältnisse’, Gnadenakte: so lange, wie es dem Betrieb passt, darf wer arbeiten. Dann ist aus. Dann soll der Staat mit seinem Wohlfahrtsnetz ‘auffangen’, zahlen. Die Privatwirtschaft gilt nur in der Gewinnzone. Öffentlich sind Verluste. So funktioniert der Kapitalismus. Das weiss man doch schon lange. Weshalb tun die ‘Genossen’ so erstaunt und empört? Seid pragmatisch!

Wäre es mit einem heimischen Betrieb besser gewesen? Nein. Auch die scheren sich einen Dreck um Soziales oder Humanes. Schon vergessen, dass der deutsche Musterkonzern Siemens über eine Milliarde Euro an Schmiergelder blechte, damit er seine, wirklich seine Geschäfte machen konnte? Mannesmann und Vodafone vergessen? Auch in Österreich: wer kann, verkauft. Wer kann, bereichert sich. Nur die Kleinen oder Deppen zahlen drauf. Das globale Geschäft kennt keinen Patriotismus!

Das Kapital ist freier als der freie Warenverkehr. Wer an die Scholle gebunden ist, durch Haus, Hypotheken und dergleichen, muss halt dableiben und zahlen. Die Manager sind Nomaden. Die Karawane zieht weiter. Überall gibt es was zu verdienen. Fragt sich nur, wann genau wo. Jetzt halt nicht hier, sondern dort. Morgen wieder woanders. Man muss flexibel sein. Das Kapital ist flexibel.

Hätte die Arbeiter- und Angestelltenschaft ein Klassenbewusstsein entwickelt und gefestigt und das, was über die ‘Internationalen’ immer wieder versucht worden war, gut organisiert eingerichtet, sie stünde nicht so dumm machtlos da und könnte handeln. Nicht nur lokale Streiks. Nicht nur Protestreden oder vielleicht symbolische Boykottaktionen. Nein, nationenweite Boykotts, die das Geschäft empfindlich stören. Länderübergreifende Streiks, die halbe Kontinente lahm legen.

Das Kapital braucht nicht nur Produktion, sondern auch Konsumption. Wo nichts verbraucht wird, läuft das Geschäft nicht. Wenn man schon nicht die Produktion unter Kontrolle kriegt oder beeinflussen kann, könnte man empfindlich und drastisch den Konsum stören. Im eigenen Land, in vielen Ländern, am Kontinent. Das würde viele, ganze Gesellschaften ‘stören’, durchschütteln. Leute aufbringen. Die Regierungen sähen sich gezwungen, entweder mit Waffengewalt gegen die ‘Aufrührer’ vorzugehen, was unwahrscheinlich ist, weil es in einen erweiterten Bürgerkrieg mündete, oder die Firmen zu anderen Massnahmen und anderem Verhalten zwingen. Aber das wäre der Bruch des Tabus vom freien Markt, der in Wirklichkeit nur frei von Sozialem ist. Das wäre der Bruch des absoluten Primats des Ökonomischen, das wäre der erste merkbare Angriff gegen den inhumanen Utilitarismus.

So etwas gab es noch nie, und wird es so schnell nicht geben. (Auch der Marxismus war durch die Realkommunisten pervertiert worden; ihre Systeme waren grausamer als die hergebracht kapitalistischen.)

Wenn in vielen Ländern Ähnliches sich ereignet, wenn mehr und mehr Leute feststellen müssen, dass die Europäische Union teure Gelder zur Förderung der Arbeitsplätzevernichtung verwendet, wird es vielleicht nicht nur bei verbalen Protesten oder Aufschreien bleiben. Die erzwungene EU-Umverteilung würde vielleicht aufgrund wachsender Sozialunruhen oder politischer Proteste geändert werden müssen.

Die globalisierte Wirtschaft ist eine Vorform des modernen Krieges. Um den Umschlag in den eigentlichen, programmierten Krieg zu verhindern, bedarf es länderübergreifender Aktionen, die diesen Profitprimat, diesen Utilitarismus stoppen und schwächen. In Europa könnte ein Anfang gemacht werden.