Wenn das 'wenn' nicht wär!

/ Haimo L. Handl

Feste haben ihre Geschichte. Religiöse Feste haben eine noch längere Geschichte. Rituale, Kulte bilden den Bodensatz für alle Kulturübungen. Warum aufgeklärte Menschen dennoch so stark an Mythen hängen, verwundert vielleicht. Manche erklären es sich mit der Dialektik. Werden gewisse Übungen über Dauer intensiviert, ruft das Besinnungsrufe nach sich: etwas habe sich verselbständigt, den ursprünglichen Gedanken pervertiert.

Feste, die Ausdruck der Freude und Sehnsucht sein sollen, haben sich zu sozialgefährdenden Anlässen konvertiert, deretwegen ganze Heerscharen von Einsatzkräften, Selbstmordverhinderer, Mordverhinderer, Polizisten, Psychiater, Psychologen, Coaches, Berater, Radiomoderatorinnen und -moderatoren, Journalisten in permanentem Einsatz sein müssen, um einerseits das Schlimmste zu verhindern, andererseits dennoch den ersehnten Lauf zu gewährleisten.

Denn würden mehr als einige naive Einzelne die ursprüngliche Botschaft ernst nehmen, würden ihren Konsum reduzieren, nicht in der Tretmühle von Neid und Gier sich überbieten wollen, litte die Wirtschaft. Es beweist sich alljährlich, schon selbst ein peinliches Ritual geworden, dass Konsumverzicht eine Sünde wäre: jeder, der verzichtete, brächte einen Arbeitsplatz in Gefahr, schwächte die Wirtschaft und, wie uns immer wieder gesagt wird, uns selbst, denn, geht’s der Wirtschaft gut, geht’s allen gut. Umkehrschluss, geht’s der Wirtschaft schlecht, geht’s allen schlecht. Und wie soll’s der Wirtschaft gut gehen, wenn Massen nicht konsumierten, sondern sich zurückhielten?

Das Kunststück ist also, einerseits zu duseln, religiöse Lieder singen, Krippen schauen, Tränen verdrücken, vom Christkind, ja, Kind! (Kindsmissbrauch), schwafeln, von der heiligen Familie, von Einfachheit und der Schönheit der Armut, vom Charme der Unbedarften, und gleichzeitig zu konsumieren, zu konsumieren, kaufen, Kredite aufnehmen, verausgaben.

Man stelle sich die Gesichter vor, wenn Chefs grindig grinsend neue Entlassungszahlen veröffentlichen, weil die depperten Konsumenten nicht genug ausgegeben haben! Weil Tausende von Tonnen von Krimskrams in den Lager liegen bleiben, weil man sich, erstmalig, verkalkuliert hat: die Leute konsumieren nicht mehr, wie es als ‘normal’ gilt.

Interessant ist, wie wir gelernt haben, doppelbödig und mehrdeutig uns zu verständigen: wir (d.h., die meisten von uns) beschwören Werte, die wir par tout nicht beachten, nicht beachten dürfen, damit wir in der Lage sind, sie zu beschwören.

Einige schwache Naturen schaffen diesen Stress nicht. Das bietet aber vielen anderen Extraaufgaben und Mehrarbeit. Zudem hilft es der Professionalisierung: In dem Masse, als die Sozialkontakte brüchiger werden und schwinden, als es unmöglich wird, nicht nur vernünftige Worte zu wechseln, sondern auch liebevolle, eröffnet sich das weite Feld für Zu- und Verredner. Waren es früher vor allem die Priester, die vom Leid und der Not profitierten, sind es heute Psychologen und Berater. Je weniger Menschen selber frei zu kommunizieren vermögen, desto eher werden sie Ersatzleistungen kaufen, ja kaufen müssen. Nur die Armen bleiben auf der Strecke! Es ist wie beim beschädigten Sex: wenn man und frau nicht mehr frei Sexualität finden, wird der eine oder andere die zur ‘Dienstleistung’ gewordene Handlung kaufen. Freier Warenverkehr. Also kauft man auch heute Zuhören und Sprechen. Nicht nur in der Gesprächstherapie. Deshalb haben wir Coaches. Zuhörer. Zuredner. Zuhalter.

Das hilft der Wirtschaft. Wieso sollen die Millionen Menschen ihren Konsum nicht ausweiten? Selber machen ist egoistisch. Profis bestellen: Prostituierte einerseits, Psychologen & Co. andererseits. Coaches nicht nur für Spitzensportler oder Geheimdienstler, sondern für Jedefrau und Jedermann, die sich nicht auf Zufälligkeiten des primitiven Nichtprofessionellen verlassen wollen. Die wissen, dass sich alles kaufen lässt. Mit gesicherter Qualität, ISO zertifiziert, wenn man ganz gute Dienste beansprucht.

Man muss also die Kritiken am Weihnachtsrummel von beiden Seiten besehen. Für eine bestimmte Schicht wird so getan als ob, für eine andere bestimmte Schicht ebenso. Es kommt nur darauf an, welches so und welches ob.

Wenn im Laufe des kommenden Jahres unerwartet viele einerseits nach alten, religiösen Werten leben, andererseits nach aufgeklärten, treffen sich beide antagonistischen Gruppen in einem wichtigen Bereich, nämlich dem der Authentizität und einer gewissen Wertnähe. Das wäre eine Sprengkraft für das Herrschende, die die Gesellschaft schüttelte und rüttelte und, nach den bisherigen Erfolgskriterien zumindest, beschädigte oder, weil das vielleicht doch früh erkannt wird, zu Änderungen im Eigentumsdenken und Erwerbsleben führte, so dass die sozialen Reaktionen daraus ‘aufgefangen’ würden. Jedenfalls wäre es anders, als es war und ist. Plötzlich würden gewisse Reden nicht mehr in jener gewohnten Weise doppelbödig und mehrdeutig sein, sondern anders. Das wär’ doch was? Ja schon, aber ich träume… Schöne Weihnacht.