Song Contest praktiziert erweitertes Europa

/ Haimo L. Handl

Was in den politischen Rangeleien noch lange nicht möglich ist, setzt der erfolgreiche, populäre Song Contest schon länger durch: eine aktive, erweiterte, völkerverbindende Politik, die mit ihrer Populärkultur nicht nur die westlichen oder östlichen europäischen Länder repräsentiert, sondern, entsprechend dem Expansionsgedanken, natürlich auch Israel, Nordafrika und die Türkei.

Hier, im Populärkulturbereich lassen sich etwaige Chauvinismen oder extrem nationalistische Präferenzen leichter verkraften, weil es vordergründig »nur« um Musik geht. Da wird durch Abstimmung, durch Wahl also, künstlerisch und politisch agiert. Eine Kampfzone in gesitteter Weise, wie es sich für Kunst und Sport gehört. Es ist offensichtlich, dass sich keine Krawalle ereignen, wie beim völkerverständigenden Fussball.

Die Lehre, die man daraus ziehen könnte, ist eine zweifache: eine hinsichtlich des Sports, der sich in einigen Aspekten zur gemeingefährlichen, kriminellen Mobaktion pervertiert hat, die immens teure Polizeischutzmassnahmen erforderlich zu machen scheinen, zum andern hinsichtlich der Politik.

Bleiben wir noch beim Fussball. Würde der nicht mehr die direkte Beteiligung durch »Zuschauer« ermöglichen, sondern nur noch über Fernsehschirme rezipierbar sein, könnte ein erweitertes Europa, wie beim Song Contest, mit wesentlich weniger Aufwand »kampffrei«, ohne kriminelle Kollateralschäden (Schlägereien, Vergewaltigungen, Tötungen, Brandschatzungen usw.) erreicht werden. Zur Austragung der Matches würde in jedem Staat ein Fussballfeld genügen, von wo das »Spiel« aufgezeichnet und ausgestrahlt würde. Als demokratische Neuerung könnte man auf Fachbewerter bzw. »Schiedsrichter« verzichten und des Volkes Stimme (their masters voice) zur Bewertungsgrundlage machen, was den zwischenstaatlichen Meinungsaustausch, die echte Völkerverständigung steigerte.

Aus der Übung, nicht nach festgelegten Qualitätskriterien, wie sie für den Sport, wo Leistung wie bei Maschinen noch präzise messbar sind, zu bewerten, sondern nach subjektiven Eindrücken Beteiligter, wobei Zuschauer Beteiligte sind, könnte eine politische Neuorientierung für eine »volksdemokratische« Entwicklung erfolgen, wie sie den früheren Oststaaten zum Beispiel, die sich verfrüht »Volksdemokratien« nannten, aus vielerlei Gründen nicht vergönnt war.

Damit wäre erwiesen und erreicht, dass über Massenmedien Massen nicht nur zum Mob sich reizen lassen, sondern zu selbständig, verständigen Beteiligten in einem zivilisierten Kulturprozess.

Schauen wir kurz auf die politische Dimension: Wenn der Song Contest Länder wie Israel, Türkei, Marokko, Libyen, Syrien, Algerien, Tunesien, Ägypten miteinschliesst, ihnen den wichtigen Zugang der Repräsentanz ihrer wertvollen Kultur gestattet, fördert er einerseits die Vielfalt der Kulturen, erweitert aber andererseits systematisch den Begriff »Europa«. Seit der Wende sind ja die Oststaaten regulär vertreten. Wenn nun im Kulturbereich aussereuropäische Länder europäischen gleichstellt sind, im Contest zumindest, hilft das der positiven Beantwortung der künftigen Frage, ob sie nicht auch politisch gleichgestellt werden sollen.

Übrigens sind das keine Willkürentscheidungen. Politische, bürokratische Regeln der EBU, ITU, IBO, OIRT machen dies, als Ausdruck jeweiliger politischer Regeln und Durchsetzungen, möglich. Die EBU ist eine Nachkriegseinrichtung. 1950 wurde entschieden, welche Länder zur European Broadcasting Area hinzugerechnet werden: die Kolonien der europäischen Kolonialländer wurden praktisch miteinbezogen, soweit sie im damals technisch erreichbaren Feld lagen. Deshalb sind die nordafrikanischen Länder vertreten, nicht aber die südlich der Sahara. Und auch nicht jene, die in Südamerika oder Asien lagen.

Die Aufteilung der »Funk-Welt« erfolgte in Vereinbarungen der ITU und widerspiegelt das politische West-Ost und Nord-Südverständnis. Die Definition, was dem europäischen Bereich zugerechnet wird, liefert dann Ergebnisse, die heute einige befremden mögen, weil nicht nur weite Teile Russlands, die schon in Asien liegen, miteinbezogen werden, sondern auch Saudi Arabien, der Irak, nicht aber der Iran.

Der Song Contest könnte künftig erweitert bzw. einige Länder, die früher teilnahmen und in jüngster Vergangenheit aus politischen Gründen nicht, reaktiviert werden. Durch direkte Teilnahme der Zuschauer könnte eine hohe Kulturaktivierung erreicht werden, wie sie der Sport nicht erreicht.

Was für Musik und Fussball gilt, sollte auch für die Politik überlegt werden: sparten wir nicht Milliarden von Euros, die wir gezwungen scheinen in die Unionsbürokratie zu pumpen, damit der Laden läuft? Herrscht nicht ein riesiges Misstrauen gegen »Brüssel« und die Kommissionsverwaltung? Bedauern nicht viele die Paralyse des Europäischen Parlaments? Wollen kluge Politiker nicht eine Ausweitung Europas, eine Stärkung des europäischen Verteidigungspaktes?

Den Song Contest als Vorbild genommen, könnte die europäische Politik fürwahr expandieren und alle beteiligten Länder profitabel an der positiven, demokratischen Entwicklung partizipieren lassen.

Das macht den Song Contest doch noch interessanter, nicht?